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Qtcfifsijcv ltzesandter wieder in Wien ans, und auch von
hessischer Seite vermied man es, durch offizielle Schritte
gegen sein neues Auftreten den Wiener Hof, an dem
er auch von früher her Gönner hatte, in Verlegenheit
zu setzen. Die leise Hoffnung, die man in Kassel hegte,
durch diese Schonung eher zur Wiedererlangung der ver-
nntreuten Gelder zu kommen, scheint sich nicht erfüllt
zu haben, darüber ist wenigstens ebensowenig wie über
des Grafen spätere Lebensschicksale etwas bekannt. —
Bei den Hörern und den zahlreichen Hörerinnen erregte
die romanhafte Laufbahn dieses Abenteurers, dessen
Bildnis ihn als einen schönen Kavalier zeigte, sichtlich
lebhaftes Interesse, die überaus knappe, bisweilen un
billig verkürzte Besoldung mochte in der Tat Oeynhausen
in etwas entschuldigen.
Ter stark besuchte wissenschaftliche Unterhaltungsabend
des Kasseler Vereins am 2. Februar verlief recht
anregend. Herr Bibliotheksdirektor Professor I)r. Brun
ner entwarf auf Grund üngedruckter Quellen ein Lebens
bild des 1850 als wirklicher preußischer Geheimrat ver
storbenen, von Jérôme als Postillon d'amour benutzten
westfälischen Gcneralinspektors der Forsten Joachim Frei
herrn von Otterstedt, dessen Gattin, eine geborene Gräfin
Zeppelin, erste Palastdame der Königin war und für
diese, um sie aus einer recht heiklen Liebesangelegenheit
herauszuziehen, einst in Stuttgart mit ihrer Person
eingetreten war. Buchdruckereibesitzer Jacob sprach
sodann über den Eintritt Äurhessens in das deutsche
Eisenbahnsystem, über die ersten, schon im Jahre 1832
einsetzenden Bemühungen, den ersten Spatenstich auf der
Südseite des Guxhagener Tunnels, die im März 1848
vollendete Strecke Grebenstein-Karlshafen, die noch im
selben Jahr bis Kassel ausgebaut war, die besonderen
Gcländeschwierigkeiten auf der Strecke Kassel-Bebra-
Gerstungen, den Bau der Guntershäuser Brücke, ein
Meisterstück damaliger Baukunst, die Revolutionierung
des Verkehrs durch Eröffnung der Friedrich-Wilhelms-
Nordbahn, die verschiedenen Projekte der Kasseler Bahn
hofsanlage, weiter über den Bau der Main-Weserbahn
über Marburg, die am 15. Mai 1852 auf der ganzen
Strecke in Betrieb genommen werden konnte. Zu diesem
interessanten Bortrag machte Rechnungsdirektor W o -
ringer eine Reihe ergänzender Mitteilungen nnd ging
dann noch weiter auf die Vorgeschichte der kurhessischen
Eisenbahnen ein. Beide Vorträge veranlaßten eine leb
hafte und aufschlußreiche Diskussion.
Die Monatsversammlung des Kasseler Vereins
brachte nach der kürzlich erfolgten Verabschiedung des«
sog. Ausgrabungsgesctzes im preußischen Abgeordneten
haus einen zeitgemäßen und verdienstvollen Vortrag
des Vereinsvorsitzenden General E i s e n t r a u t über
den „ Schutzder Boden altertümerinP reu-
ß en" In anschaulicher Weise wies er auf die Mög
lichkeiten hin, Aufschlüsse über den frühesten Zustand
des Menschengeschlechts zu erhalten, zeigte, wie man
sich in anderen Ländern die Bodenschätze gesichert habe,
und wies namentlich auf Griechenland hin, das bereits
1834 alle Bodenfunde als Nationaleigentum erklärte.
Zu ähnlichen Schutzmaßregeln ist auch Italien längst
übergegangen, am wenigsten ablehnend ist noch die
Türkei, soweit es sich wenigstens nicht um ihre eigene
Vergangenheit und Kultur handelte. So konnte Schlie-
mann von seinen Grabungen in Pergamon alles Wesent
liche an die Museen in Berlin schenken. In den
anderen europäischen Ländern ist der Sinn für Alter
tümer von den Resten der griechischen und römischen
Kultur ausgegangen, die sie so glücklich waren, bei sich
zu entdecken. In Preußen war man früh davon über
zeugt, daß für die Forschung und die Museen nur die
Altertümer in Betracht kommen konnten, die das Rhein
land aus der Zeit der römischen Kultur aufzuweisen
hatte. So ist es gekommen, daß sich den heimischen
Altertümern aus frühester Zeit so wenig und erst so
spät das öffentliche Interesse zugewandt hat. Die erste
großangelegte Ausgrabung auf deutschem Boden brachte
auf Mommsens Veranlassung die Limesforschung, die
zugleich ein wichtiges Stück unserer ältesten Geschichte
aufhellte. 1902 schuf der Staat die römisch-germanische
Kommission mit der Aufgabe, die Kultur der einstigen
römischen Landesteile bis zur Elbe zu erforschen. In
einzelnen deutschen Staaten war der Schutz der Boden
altertümer schon früher geregelt, so in Bayern, Hessen-
Darmstadt und Oldenburg. In Preußen fehlte es bisher
daran, obwohl in einzelnen Provinzen — wie z. B. in
Hessen-Nassau — schon manche wirksame Verordnung
bestand. Erfreulicherweise ist der Entwurf eines Aus
grabungsgesetzes vor anderthalb Wochen nun angenom
men worden. Es war die höchste Zeit, die Erinnerung
an alte Zeiten zu sichern, sonst hätte noch manches den
Weg nach Amerika gefunden. Eine Übersicht der schätzens
werten Bodenaltertümer gewinnen wir bei einer kurzen
Wanderung durch die Entwickelungsgeschichte des Men
schen. Man nimmt heute an, daß bereits zu Ende der
Tertiärzeit menschenähnliche Wesen in Südfrankreich ge
lebt haben, und man hat eine ganze Anzahl von Neo-
lithen, von Feuersteinen, die diese Vormenschen bear
beiteten, mit den Knochen längst ausgestorbener Tiere
gefunden. Auf die Tertiärzeit folgte das Diluvium,
die letzte Schöpfungsperiode der Erde, die bis in die
Gegenwart reicht und gewiß schon anderthalb Millionen
von Jahren alt ist. Der Beginn dieser Zeit ist ge
kennzeichnet durch eine ganz allmählich eingetretene starke
Abkühlung der Erde (Eiszeit). Diese erste Vereisung
wich wieder zurück, und neues Leben mit einer üppigen
Pflanzen- und Tierwelt konnte wieder eindringen. Mit
dieser Tierwelt hielt auch der durch die Vereisung nach
Süden verdrängte Vormensch wieder seinen Einzug in
Mitteleuropa, was wir aus den in seinen Händen ent
standenen Steinwerkzeugen erkennen, die aber jetzt auch
schon zum Schneiden und Schaben benutzt wurden. Dieser
Vorgang hat sich mehrere Male wiederholt, so nimmt
man für das heutige Norddeutschland drei Eiszeiten an.
Aber viele hunderttausende von Jahren ist der Mensch
über die einfachsten Steinwerkzeuge nicht hinausgekom
men. Man pflegt die verschiedenen Kulturstufen des
Menschen nach dem Namen der Stoffe zu bezeichnen,
aus denen er seine Waffen und Werkzeuge herstellte:
ältere Steinzeit, jüngere Steinzeit (neolithische Zeit),
ältere Bronzezeit, jüngere Bronzezeit (Hallstattzeitl und
La Tönezeit. Diese Übersicht zeigt, wie die Bodenalter
tümer für die Kulturentwicklung die wertvollsten Auf
schlüsse zu geben vermögen. Für die älteste Zeit sind
wir ganz allein auf sie angewiesen, erst später treten
Sprachforschung und Geschichte hinzu. Die Funde reden
in ihrer Sprache um so deutlicher, je unverletzter sie
aus der Erde kommen. Niemand wird behaupten wollen,
daß hierfür bei uns schon die nötige Fürsorge bestand.
Bessere Zustände lassen sich nur erreichen, wenn wir
die wichtigsten Feinde unserer Bodenaltertümer be
kämpfen. Diese sind 1. Unkenntnis ihrer wahren Be
deutung, 2. der Erwerbssinn, 3. die Ausdehnung des
wirtschaftlichen Betriebs. Wie viele Urnen mögen im
Boden gesteckt haben, wieviele sind absichtslos zerstört
worden- wie wenige sind in die Museen gelangt! So
ist es auch mit den gefundenen Stein-, Bronze- und
lAsenteilen. Wie viel Schmucksachen werden im Schmelz
tiegel des Goldschmieds verschwunden sein und wie
viele unansehnliche Altertümer sind schon vernichtet