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Beiträge zur hessischen Ortsnamenkunde.
4. Ungedanken, Gedankenspiel.
Von Dr. Wilhelm Schoos, Hersseld.
Südlich vom Büraberg im Kreise Fritzlar liegt
am Ausgang eines engen Tales ein etwa 300
Bewohner umfassendes Dorf, das den seltsam
klingenden Namen Ungedanken führt. Das
Dorf liegt zwischen zwei Bergen eingeklammert
auf sumpfigem Boden unweit der Edder gerade
an der Stelle, wo diese aus der größeren Talbreite
im Waldeckischen in eine enge Bergkluft zwischen
dem Büraberg und dem Züschener Wald einfließt,
um von da aus in die Wabernsche Ebene ein
zumünden.
Der Name Ungedanken kommt meines Wissens
in Hessen nur noch einmal als Waldname für
eine im Riedeselschen Forst bei Beenhausen gelegene
Wüstung vor. Auch hierbei handelt es sich um
einen hochgelegenen, teilweise sumpfigen Ort.
Unter den bis jetzt vorhandenen Deutungs-
Versuchen Kellners'), Arnolds a ) und Vilmars*)
ist zwischen einer volkstümlichen oder dilettantischen
Namenserklärung im Anschluß an eine Namens
sage und zwischen einer wissenschaftlichen Namens,
erklärung, die sich auf den Prinzipien der Sied
lungsgeschichte und der Namenkunde aufbaut, zu
unterscheiden.
Die Namenssage, die nach üsfttebel * 4 * ) meist nichts
anderes als ein kindlicher Versuch einer Er-
klärung ist, „entspringt dem Bedürfnis des Volkes
nach neuer Deutung solcher Namen, deren ursprüng
liche Bedeutung dem Volksbewußtsein verloren
gegangen ist, und ist nichts anderes als ein poetischer
Versuch, den abgestorbenen Namen sinnvoll wieder
zu beleben. Nur selten ist dabei die Dichtung
rein aus dem Namen herausgesponnen, meist find
geschichtliche Erinnerungen, die um die Örtlichkeit
schwebten, als Einschlag benutzt. Oft gehören diese
demselben Vorstellungskreise an, aus dem der Name
hervorgegangen ist, oft aber sind sie einem ganz
fremden Gedankengang entlehnt, aus den nur
der lautliche Gleichklang führte."") So
hätten sich die Freiherrn von Riebesel mit dem
Landgrafen von Hefien in einer Detie um den
Rotenburger Waldort gestritten und ihn gewonnen.
’) Etymol. Spaziergänge durch Hessen. Ztschr. f. heff.
Gesch. 12, S. 75 ff.
*) Anfiedlungen und Wanderungen S. 643.
*) Idiotikon von Kurheffen S. 423.
4 ) Zeitschrift für deutsche Mundarten 1912, S. 371.
') Regelt: Etymologische Sagen au» dem Riefen-
gebirge. Sep.-Abdr. aus den German. AbhaNdl. XII, S. 134.
Schließlich hätten sie aber die Jagd darauf ver
gessen, die noch heutigen Tages dort herrschaftlich
ist, und da sie das ihrer Vergeßlichkeit oder Ge
dankenlosigkeit zuschrieben, nannten sie den Ort ,die
Ungedanken‘. 6 )
Von den wissenschaftlichen Erklärungsversuchen
schließt sich derjenige Vilmars in Ermangelung von
etwas Besserem eng an die volkstümliche oder dilet
tantische Namenserklärung an. Er hält das Wort
für einen Pluralischen Dativ von dem alten
ungedano — Geistesabwesenheit, Unsinn, Unbe
sonnenheit, und glaubt, daß beide Ortsnamen aus
Vorgängen unangenehmen Andenkens entstanden
seien, das Dorf vielleicht infolge von Zerwürsniflen
mit der Stadt Fritzlar, die zur Auswanderung
führten, der Waldort infolge von Aufruhr oder
dergleichen, weil neben den Ungedanken sich dort
der lebendige Galgen befindet, an dem auf
frischer Tat ertappte Verbrecher kurzerhand auf
geknüpft worden seien.
Kellner a. a. O. S. 76 hält das für eine Er
klärung, die möglich sei. obwohl sich geschichtliche
Anhaltspunkte für keine dieser Erklärungen finden.
Dank den Fortschritten auf dem Gebiet einer
methodischen Orts- und Flurnamenforschung kann
jedoch ein solcher Erklärungsversuch vom heutigen
Standpunkt der Wissenschaft aus nicht mehr auf
recht erhalten werden, ebensowenig wie derjenige
Arnolds, der Ungedanken wegen der versteckten
Lage des Dorfes hinter dem Büraberge für einen
Spitznamen hält.
Besonders schwierig gestaltet sich die Deutung
dieses Namens dadurch, daß die urkundlichen Belege
(1291 Ungedanken) äußerst spärlich find (1321,
1324, 1348) und sich ebenso wie die mundartliche
Benennung des Ortes von der heutigen Schreibung
nicht unterscheiden, daß also auf diesem sonst so
aufschlußreichen Wege nicht zum Ziele zu gelangen
ist. Den Schlüssel zu einer wisienschaftlichen Lö
sung des Rätsels bietet Kellners mit der Ver
mutung. daß der Name feinen Ursprung in natür
lichen Verhältnissen des Bodens haben werde, weil
der Name zugleich für einen Waldort und für
ein Dorf vorliege, d. h. mit anderen Worten, daß
der Boden, der später zu einer Siedelung urbar
gemacht wurde, ursprünglich denselben kulturellen
•) Kellner a. a. O. S.75.
’) o. st. O. S. 76.