Full text: Hessenland (27.1913)

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erst gleichzeitig mit den ausbrechenden Flammen 
wahrgenommen haben. Wie glücklicherweise die Sache 
stand, gelang es der angestrengten Löscharbeit, die 
Brunst wieder zu dämpfen, nur eine Anzahl Sparren 
und Dachbalken war stark angekohlt. Natürlich war 
nun das Schorgehaus, auch das Zimmer, in dem der 
alte Sünder an seinem Strick hing, voller Menschen. 
Ich sür meinen Teil habe den widerwärtigen An 
blick des Erhängten auch gehabt. Er hat mich mit 
tiefem Grauen erfüllt, noch Wochen lang mochte ich 
bei Dunkelheit nicht allein hinaus oder gar in die 
Nähe des gräßlichen Hauses, selbst in meinen Träumen 
ängstigte mich das wahrhaft abscheuliche Bild. Wäh 
rend der kurzen Zeitspanne, die ich in der Nähe 
des Selbstmörders zubrachte, erlebte ich überdies 
einen Vorgang, der mich damals mit wahrem Ent 
setzen erfüllte und auch heute noch die stärkste Ent 
rüstung in mir wachruft. Unter den vielen Menschen, 
die in dem Zimmer waren, befand sich auch ein noch 
jüngerer unverheirateter Mann aus einem Nachbar- 
dorf, dessen Schwester in eins der Gehöfte meines 
Heimatdorfes eingeheiratet hatte. Ich kann es danach 
wohl verstehen, daß dieser dem alten Sünder, der 
auch das Anwesen seiner Schwester bedroht hatte, 
grollte. Wenn er aber jetzt unter dem Ruf: „du ver 
dammtes altes Aas!" dem Erhängten einen heftigen 
Fußtritt versetzte, so daß der elende Kadaver sich 
mehrmals an seinem Strick um die eigne Achse drehte, 
Aus Heimat 
Hessischer Ge schichtsverein. Am 17 Februar 
sprach in der Monatsversammlung des Ka sseler Ver 
eins der bekannte Verfasser der Geschichte Lichtenaus, 
Obertelegraphensekretär S i e g e l, über die h e s si s ch e n 
Land- und Garnison-Regimenter. Wir 
werden auf den gediegenen Vortrag noch eingehender 
zurückkommen. ' 
Fuldaer Geschichtsverein. In der Monats 
versammlung des Fuldaer Geschichtsvereins am 19. Fe 
bruar 1913 hielt Lehrer H a ck zu Petersberg einen 
Vortrag über das Thema „Ausgestorbene und 
imAussterben begriffene Sitten undGe- 
bräuche der Fuldaer Landbevölkerung." 
Redner gab in ausführlicher Weise ein charakteristisches 
Bild der Fuldaer Bevölkerung in der „guten alten 
Zeit" bei gewissen Anlässen. Der vordringenden 
Industrie mußten auch viele alte Sitten und Ge 
bräuche weichen, und so finden sich heute nur noch 
wenige vor. 
Marburger Hochschulnachrichten. Zur 
Jahrhundertfeier der Befreiungskriege ging am 20. Fe 
bruar in den Stadtsälen vor dem Lehrkörper der 
so habe ich das schon damals als eine wahrhaft 
empörende Roheit empfunden. Wann, wie und an 
welcher Stelle des Kirchhofs man den Selbstmörder 
eingescharrt hat. weiß ich nicht, ich habe keinerlei 
Neigung verspürt, mich darum zu kümmern. — 
Was sollte nun aus dem Schorgehos werden? 
Der Hann, der zweite Sohn, war, um sich der ihm 
zuerkannten Gefängnisstrafe zu entziehen, schon seit 
Jahresfrist heimlich nach Amerika ausgewandert. 
Seine Schwester Katharina wollte ihm demnächst 
dorthin folgen. Sollte nun etwa der Heinrich den 
Hof übernehmen? Das wäre ein in jeder Hinsicht 
aussichtsloses Beginnen gewesen. Oder der noch 
unmündige Johannes? Das ging erst recht nicht. 
So beschlossen die Geschwister den Verkauf. Dank 
der Energie eines Dorsinsassen wurde der direkte 
Käufer die Gemeinde, die dann die Gebäude auf 
Abbruch verkaufte und die Gärten, Äcker und Wiesen 
aus die Dorsinsassen verteilte. Die Hosstätte ist 
heute zum Teil mit neuen, zu den beiden Nachbar- 
gehöften gehörenden Gebäuden besetzt, eine Straße 
führt mitten hindurch. Wenige nur wissen noch 
etwas von den alten, nun ein halbes Jahrhundert 
zurückliegenden bösen Geschichten, noch ein weiteres 
halbes Jahrhundert, und der Schorgehos und seine 
Schicksale werden völlig in das Meer der Vergessen 
heit untergetaucht sein. 
und Fremde. 
Universität und der Studentenschaft das fünfaktige 
vaterländische Festspiel „Aus eiserner Zeit" von 
Geheimrat Pros. Dr. Th. Birt in Szene und fand 
stürmischen Beifall. Am folgenden Abend fand 
aus dem gleichen Anlaß ein großer studentischer 
Kommers statt. — Dem früheren langjährigen 
Ordinarius an unserer Universität Geheimrat Pros. 
Dr. Edward Schröder in Güttingen wurde der 
Kgl. Kronenorden 3. Kl. verliehen. — Professor 
Dr.med. Leonhard Jores, ordentliches Mitglied 
der Kölner Akademie sür praktische Medizin und 
Direktor des pathologischen Instituts der städtischen 
Krankenanstalten daselbst, hat den Ruf als Nach 
folger von Pros. Dr. Martin B. Schmidt angenommen. 
— In der medizinischen Fakultät habilitierten sich: 
Dr. Friedrich Kirstein mit einer Antrittsvorlesung 
über „Die Beziehungen der geburtshilflichen Wissen 
schaft zu den Fragen des Hebammenstandes" und 
Dr. Hans Klein schm i dt mit einer Antrittsvor 
lesung über „Die Bedeutung der Konstitution sür die 
Erkrankungen des Kindesalters" 
Personalchronik. Mit dem Ende dieses 
Wintersemesters tritt der ordentliche Professor der
	        

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