Wenn unsre Seelen leise dann wohl streiften
Die Stunden, die uns einst die schwersten waren,
So fühlen wir wohl noch, wie sie einst reiften
In jenen schwersten, ach, den schwersten Tagen.
Das ist der Segen jener stillen Stunden.
Daß in unS weiterlebt ihr ernstes Wort:
Wir haben unS in ihnen erst gefunden
Und suchen unS nun weiter fort und fort."
Dr. E. Franz.
Heidelbach, Paul. Deutsche Dichter und Künstler
in Escheberg und Beziehungen der Familie
von derMalsburg.Escheberg zuden Fami
lien Tieck und Geibel. Mit 34 Abbildungen.
244 Seiten. Marburg lN. G. Elwert'sche Verlags
buchhandlung) 1913. Brosch. 3 Mk. Geb. 4 Mk.
Etwa 30 Kilometer von Kassel entfernt, unweit des alter
tümlichen Städtchens Zierenberg, liegt in idyllischer Ein
samkeit inmitten eines grünen Kranzes von Bergen der
hessische Edelsitz Escheberg, eng verknüpft mit dem Namen
der zur althessischen Ritterschaft gehörigen Familie von
derMalsburg. An den Namen Escheberg knüpfen sich
mannigfaltige Beziehungen zu unserer engeren hessischen
und deutschen Literatur. Wie seit den Weimarer Tagen
die Literatur wieder einen geistigen Mittelpunkt in München
durch die Tafelrunde König Maximilians erhielt (der u. o.
Dingelstedt und Geibel angehörten), so vereinigte hier in
Escheberg der edelgesinnte Karl von der Malsburg, der
jüngere Bruder des früh vollendeten Romantikers und
Freundes von Ludwig Tieck Ernst Otto von der Mals
burg (t 1824), in seinem Schlosse Dichter Künstler und
Gelehrte um sich und erwarb sich dadurch mit Recht in
seiner Heimat den Namen eines hessischen Mäcenas. Das
altehrwürdige Schloß mit seinen prächtigen Räumen, deren
Wände die Ahnenbilder zieren, die Bibliothek, das Theater,
der ausgedehnte Park mit seinen prachtvollen Anlagen,
seinem Teich und stimmungsvollen Geibeltempel, dazu die
reizend liebenswürdige Persönlichkeit des freigiebigen Gast-
gebers, dies alles verfehlte nicht seine Wirkung auf ein
tiefer veranlagtes Poetenherz. Zeuge hierfür ist das Fremden
buch des Hauses, selbst einer der kostbarsten literarischen
Schätze des Hauses.
So bildete dieser althessische Edelsitz in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts ein angenehmes Asyl für eine Reihe
von deutschen Dichtern, Gelehrten und Künstlern, die gern
und oft das ungezwungene, heitere Leben auf dem welt
entrückten Schlosse aufsuchten. Fast alle haben sich mit mehr
oder weniger launigen Dankesworten in das Escheberger
Fremdenbuch eingeschrieben. So verweilten hier u. a.
Friedrich Gras Kalkreuth und Graf Lveben, beide ver
traute Freunde des Romantikers und Calderonübersetzers '
Ernst Otto von der Malsburg, Karl Friedrich Gerstäcker,
Vater des berühmten Reiseschriftstellers. Emanuel Geibel,
Franz Kugler, Friedrich von Bodenstedt, Julius Roden
berg. Heinrich Marschner. Louis Spohr, der Schauspieler
Ludwig Gabillon, die Historiker Heinrich von Sybel und
Ehr. von Rommel, die Maler Ludwig Emil Grimm,
Moritz von Schwind und noch manche andere.
Angeregt durch diese Eintragungen im Efcheberger Fremden
buch hat Heidelbach, den selbst verwandtschaftliche Bande
mit Escheberg verbinden, eS versucht, den mannigfachen
Beziehungen dieser auserlesenen Geister zu Escheberg nach
zuspüren. Nach jahrelanger Arbeit, unterstützt durch
liebenswürdiges Entgegenkommen der Familie v. d. Mals
burg, ist es ihm gelungen, uns hier in lückenloser, ge
wandter Darstellung unter sorgfältigster Benutzung der
Ouellen ein literarisches Werk zu bieten, das uns ein-
gehend mit den politischen, gesellschaftlichen und künst-
lerischen Verhältnissen der damaligen Zeit bekannt macht.
Als besonders wertvoll muß darin das umfangreiche, fast
ein Drittel des Buches ausmachende Kapitel über Geibel
. bezeichnet werden. Es enthält u. a. 6 Briefe von Emanuel
Geibels Vater, dem Lübecker Hauptpastor Johannes Geibel,
und weitere 20 Briese Emanuel Geibels an Mitglieder
j der Familie v. d. Malsburg, von denen 6 bisher noch
gänzlich ungrdruckt waren. Ebenso wird Geibels zehnte
Elegie hier zum ersten Mal in der ursprünglichen Fassung
nach Geibels Niederschrift wiedergegeben.
Damit gewinnt die Schrift über Hessen hinaus literar
historische Bedeutung und wird namentlich von den Geibel-
forschern genügend gewürdigt werden. Wie Geibel hier
aus den Bänden der umfangreichen spanischen Bibliothek
seine köstlichen Romanzen schöpfte, so fand hier einige Jahre
später Friedrich Bodenstedt. der Escheberg in seinem drei
bändigen Roman „das Herrenhaus im Eschenwald" ver
herrlicht hat, wertvolles Material für seine orientalischen
Studien und schuf hier seine „Völker des Kaukasus" und
seine „Ada"
Es ist ein unbestrittenes Verdienst Heidelbachs, daS An
denken an diesen hessischen Mäcen bei unS und über die
rot-weißen Grenzpfähle hinaus erhalten zu haben. Es ist
ein köstliches, ungemein fleißiges Buch, ausgezeichnet durch
wiffenschaftlichen Ernst und fließende, fesselnde Darstellung,
ein Buch, das man immer wieder gern zur Hand nimmt.
Dabei wüßte ich dem Ganzen nur wenig hinzuzufügen.
Bei der Würdigung des Freundschaftsverhältnisses Ernst
Ottos v. d. Malsburg zu Tieck und zum Grafen Kalkreuth
ist dem Herausgeber ein Gedicht Tiecks an Ernst Otto
v. d. MalSburg aus Dresden „beim Abschiede am 30. März
1820" sowie zwei Sonette Kalkreuths, das eine vom
23. Juni 1824 „dem Freiherrn Ernst von der Malsburg
zum Geburtstage" das zweite ohne Datum mit der Über
schrift „Bitte an Ernst Freiherrn von der Malsburg"
entgangen, die s. Zt. dem Rezensenten auf der Suche nach
ungedruckten Grimmbriefen nebst dem auch von Heidelbach
abgedruckten Briefe Dorothea Tiecks aus Dresden vom
27. September 1824 aus dem Escheberger Familienarchiv
von Sr. Exzellenz dem Vizekanzler Herrn Dr. jur. Hans
v. d. Malsburg (t 1908) in liebenswürdigster Weise zur
Verfügung gestellt wurden. Sie werden demnächst an
anderer Stelle zum Abdruck gelangen.
Ausstattung und Druck sind vornehm und lasten nichts
zu wünschen übrig. Auf S. 59 Z 9 muß es statt „Jahr
hundert" „Jahrhunderts" heißen. 34 zum Teil wenig
bekannte Abbildungen nach Aufnahmen von Hosphotograph
Karl Eberth u. a. beleben den Text in angenehmer Weife,
über 100 gewissenhaft angezogene Anmerkungen am Schluß
des Buches geben dem Forscher fortgesetzt Gelegenheit, die
Tatsachen nachzuprüfen. Hier wäre zu dem Kapitel über
Ludwig Gabillon der Aufsatz im „Hessenland" 1901
S. 82 ff., zu dem über Bodenstedt der ebenda 1901, S. 231 ff..
249ff.. 265ff. veröffentlichte Beitrag („Escheberger Er
innerungen") zu ergänzen. Im übrigen muß die Be
herrschung der einschlägigen Literatur anerkannt, ja be
wundert werden. Ein sorgfältiges Register am Schluß
endlich erleichtert die Benutzung. Alles in allem ist hier ein
Kulturbild ersten Ranges aus einer literarisch intereffanten
Epoche entstanden, zugleich eine wertvolle Ergänzung zu
unserer hessischen Literaturgeschichte.
Dr. Wilhelm Schoof.
Finot. Jean. Das hohe Lied der Frau. Aus dem
Französischen übersetzt von Dr. H. Warlich. Stutt
gart (Julius Hoffmann). 306 Seiten.
Geh. 3 M. Geb. 4 und 5 M.
Dr. Warlich. Kassel-Harleshausen hat sich durch die
Übersetzung des Finotschen Werkes rin hohes Verdienst er»