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Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. In der Sitzung
des Marburger Vereins am 20. Januar gedachte
der Vorsitzende zunächst der Verluste, die der Verein
durch den Tod des Rentners Ludwig Müller und
des Gymnasialdirektors Dr. Aly erlitten hat. Es
folgte der Vortrag von Dr. W. Sohm: Ur
christentum und hessischer Predigerstand
im Reformationszeitalter. Der Vortragende
ging von der Absicht aus, Schicksale der hessischen
Pfarrer im Resormationszeitalter darzustellen und
zugleich in diesen einer Wiederbelebung urchristlicher
Gedanken über das Amt am Wort Gottes nach
zuspüren. War doch dieses Amt am Worte Gottes das
hervorragendste Regierungsamt unter den Gläubigen
derUrchristenheit, und wollte doch auch der resormato-
rische Prediger im gleichen Sinne Diener am Wort,
Leiter der Gemeinde sein. Hier nun trat neben den
Pfarrer des 16. Jahrhunderts in Hessen, wie allerwärts,
die Gewalt der Obrigkeit. Prediger und Obrigkeit
regierten gemeinsam die „Landeskirche". Nachdem
der Vortragende ausgeführt hatte, daß der Pfarrer
in Hessen theoretisch nach urchristlichen und lutherischen
Gedanken zum Prediger bestellt wurde, wies er nach,
wie obrigkeitliche Teilnahme an dieser Amtsein
führung zu Härten führen konnte, die urchristlichem
Empfinden widersprach. So z. B. dort, wo Hessen
mit katholischer hoher Obrigkeit sich auseinander
setzen mußte (Streit zwischen dem hessischen und dem
mainzischen Amtmann bei der Psarrbesetzung zu
Stausebach) oder wo in Hessen ein katholischer Patron
bei katholischem Brauch bleiben wollte (die von
Berlepsch zu Unterrieden). Auch bei der land
läufigen Einführung des Pfarrers begleitete diesen
ein fürstlicher Gewaltbrief und mischten sich hie und
da andere Interessen in die religiöse Angelegenheit
(Besetzung der Psarre Hersfeld 1565: Katholisches
Patronat. Gemeindevorschlag betont die auf den
Kandidaten aus dem Stadtsäckel verwendeten Kosten).
— Im zweiten Teil ging der Vortragende aus die
Schwierigkeiten ein, die dem Pfarrer im Gemeinde
leben aus dem Wettbewerb mit obrigkeitlicher Stras-
gewalt entstanden. Der Pfarrer Wendelin Knaben
schuh zu Borken gab ein Beispiel, wie hier der
Prediger bemüht war, kraft seines geistlichen Straf
amtes urchristliche Sittenreinheit in der Gemeinde
herzustellen, hierbei aber gerade auf Widerstand
des Schultheißen stoßen mußte. Der landgräfliche
Beamte versagte dem theologischen Ideal seinen
Dienst. Nicht viel besser ging es dem Pfarrer zu
Homberg (Wendelin Engel), der zu lebhaftem Protest
gegen die weltfrohe Obrigkeit getrieben wurde. Andere
Fälle aus Allendors und Echzell rnndeten das Bild
ab. — Trotz solchen Schwierigkeiten glaubte der
Vortragende nicht eine billige Kritik an der hessischen
Landeskirche üben zu dürfen. Einmal bemühte gerade
sie sich vor allem anderen. Geistliches und Weltliches
nach Möglichkeit zu trennen, dann aber fand, nicht
anders als auch in anderen Territorien, die Refor
mation in Hessen ein durch Armut bedrücktes und
durch Unbildung ungeeignetes Psarrmaterial vor,
— Zustände, die während der ersten Jahrzehnte
andauerten und ebenso, wie die spätere (rationale)
humanistische Bildung des neuen Theologenstandes
urchristlichem Geist schaden mußten. — Dem Vor
tragenden dankte der Vorsitzende Archivrat Dr. Ros en-
f e l d herzlich für seine feinsinnigen, gedankenreichen
Ausführungen. Die von ihm ausgesprochene Er
wartung, daß aus dem Kreise der anwesenden Sach
verständigen eine Aussprache über die angeregten
Gedankenreihen erfolgen werde, erfüllte sich in reichem
Maße. Generalsuperintendent Werner ging zu
nächst aus die urchristliche Ordination näher ein.
um hier vor allzu raschen Schlüssen zu warnen,
er sah sowohl in der Prüfung der zum Amt zu
Berufenden aus Lehre und Wandel, wie auch in der
möglichsten Einschränkung landesherrlichen Kirchen
regiments das Bemühen, in Hessen frühchristlichen
Zuständen möglichst nahezukommen. Eine stärkere
Selbständigkeit des hessischen Volkes gegenüber der
obrigkeitlichen Reformation wurde in Abrede gestellt.
Anregende Bemerkungen und Ergänzungen brachten
Pfarrer Balzer, Pfarrer Naumann, Pros. Wenck,
Archivassistent Schultze, Landgerichtsrat Heer. Ein
gehendere bezügliche Erörterungen, die sich sowohl
aus das Urchristentum als auf Mittelalter und
Reformation erstreckten und ihm zu mancherlei Frage
stellungen Anlaß boten, gab Professor Böhmer. In
seinem Schlußworte glaubte Dr. Sohm seine Auf
fassung vom urchristlichen Amt am Wort aufrecht
erhalten zu können, er dankte insbesondere General-
superintendenten Werner für die von ihm beige
steuerten Ergänzungen und beantwortete die von
verschiedenen Seiten aufgeworfenen Fragen.
Über „Namengebung in deutschen Fürsten
höfen mit besonderer Berücksichtigung des
hessischen Fürstenhauses" sprach in der sehr
gut besuchten Monatsversammlung des Kasseler
Vereins am 20. Januar Geheimrat Professor Dr.
EdwardSchrödervonder Universität Göttingen.
Wir werden auf den aufschlußreichen Vortrag in
nächster Nummer noch zurückkommen.
Marburger Hochschul Nachrichten. Die
diesjährige Tagung der Deutschen Pathologischen
Gesellschaft findet vom 31. März bis 2. April hier
in Marburg statt. — Der Ausschuß der Studenten