Full text: Hessenland (27.1913)

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Man mochte sich wohl schon damals, wie es heute 
noch der Fall zu sein pflegt, vor derartigen Ausgaben 
so lange zu drücken suchen, als es irgend möglich 
war. Vielleicht war es auch zweifelhaft, wer zur 
Herstellung der Brücke verpflichtet war. und Stadt- 
vorstand und Landgraf mochten wohl jeder dem 
andern dabei gern den Vortritt laffen. Zeitungen 
gab es noch nicht, und so konnten auch noch nicht ver 
ständige Bürger in liebenswürdigen „Eingesandts" 
die betreffenden Behörden auf ihre Pflicht und 
Schuldigkeit hinweisen, aber es ist wohl sicher, daß 
im Ratskeller, in der Kneipe des Henne Matten 
berg und im „Wilden Mann" in der Herrengasse 
beim Kaffeler und Eimbecker Bier oder gar beim 
Wein. dessen einheimische Sorten, der Weinberger, 
der Möncheberger und der Kratzenberger, wohl 
kaum geeignet waren, die gereizte Stimmung der 
Bürger zu besänftigen, gar sehr über den schlechten 
Zustand der Brücke geschimpft worden ist. Da 
konnte denn schließlich die Obrigkeit sich einem 
Eingreifen nicht länger entziehen. So wanderten 
denn die Bürgermeister und Vizebürgermeister 
(0on8u1ss st krosonsulss) der drei Kasseler Städte, 
der Altstadt, der Neustadt jenseits der Fulda und 
der Freiheit, von denen damals noch eine jede ihre 
besondere Verwaltung besaß, eines schönen Tages 
in das Schloß und stellten dem Landgrafen Hein 
rich dem Eisernen und seinem Sohne und Mit 
regenten Otto dem Schützen die herrschende Not 
lage vor. Die Landgrafen waren verständig genug, 
einzusehen, daß ein Neubau der Fuldabrücke nicht 
zu vermeiden war, und sie gaben auch zu, daß sie, 
die die Einnahme aus dem Brückenzoll zogen, 
zum Bau der Brücke verpflichtet waren. Aber mit 
dem guten Willen allein kann man keine Brücken 
bauen, und Geld hatten die Landgrafen so wenig 
als die Stadt Kaffel. In dieser Verlegenheit kam 
man nach längerer Beratung zu dem einmütigen 
Schluß, die Kosten des Neubaues auf die Schultern 
Dritter abzuwälzen, nämlich der auswärtigen Fuhr 
leute und Handelsleute, die die Brücke benutzten. 
Die Kasselaner schlugen selbst vor, den landgräf 
lichen Brückenzoll durch besondere Zuschläge zu 
erhöhen und den Mehrertrag, den diese Zuschläge 
ergäben, zum Brückenbau zu verwenden. Damit 
waren die beiden Landgrafen vollkommen einver 
standen und erließen Nun am dritten Sonntage 
nach Jubilate im Jahre 1346 eine Urkunde, die 
die Erhebung des erhöhten Brückenzolls und eines 
besonderen Brückengeldes anordnete und regelte. 
Diese uns erhaltene Urkunde, die in lateinischer 
Sprache abgefaßt ist, für einzelne Worte aber, 
z. B. für „Brückengeld", stets die deutschen Aus 
drücke braucht, besteht aus drei Teilen. Im ersten 
Teile wird das eigentliche Brückengeld eingeführt, 
daS von jedem Fuhrwerk zu entrichten war, das 
die Brücke überfuhr. Ein ourrus, vermutlich ein 
vierrädriger Wagen, sollte 4 Pfennige, eine oarruoa, 
wohl ein zweirädriger Wagen, nur 2 Pfennige 
bezahlen, ohne jede Rücksicht auf die Ladung. Das 
Brückengeld war von den auf der Fahrt von 
Niedersachsen nach dem Rhein und von Thüringen 
nach Westfalen oder in umgekehrter Richtung die 
Brücke überschreitenden Fuhrwerken zu entrichten. 
Diese Bestimmung ist wohl so zu verstehen, daß 
nur Frachtwagen mit Handelsware auf weiter 
Fahrt das Brückengeld zu zahlen hatten, während 
die Fuhrwerke der Kasselaner und der Bewohner 
der umliegenden Dörfer, die nur zum Markte oder 
sonst im Geschäftsbetriebe der Bürger und im 
Ackerbau der Landleute die Brücke benutzten, vom 
Brückengeld frei waren. Um den richtigen Eingang 
der Abgabe zu sichern, war bestimmt, daß auch 
diejenigen nach den sonstigen Bestimmungen brücken- 
geldpflichtigen Fuhrwerke das Brückengeld zu be- 
zahlen hatten, die. die Brücke nicht passierten. 
Damit sollte ein Umfahren der Brücke vermieden 
werden. Man muß dabei im Auge behalten, daß 
damals das Kaffeler Fuldawehr noch nicht bestand. 
Infolgedessen war zeitweise der Wasserstand der 
Fulda ein sehr niedriger und es werden wohl hier 
und da Furten bestanden haben, die es gestatteten, 
den Fluß ohne Benutzung der Brücke zu über 
schreiten und dann auf Umwegen die Landstraße 
wieder zu erreichen. Das mußte natürlich ver 
hindert werden, wenn der Erfolg der ganzen Maß 
regel der Brückengelderhebung nicht in Frage ge 
stellt werden sollte, und die landgräflichen Zöllner 
werden deshalb wohl ein wachsames Auge darauf 
gehabt haben, daß kein Frachtfuhrmann die Brücke 
umfuhr. Der ganze Ertrag dieses Brückengeldes 
sollte zum Brückenbau verwendet werden; die Land 
grafen erkannten ausdrücklich an, daß ihnen keine 
Einnahme daraus zustehe. 
Dei zweite Teil der Urkunde enthält den Tarif 
des bisherigen landgräflichen Brückenzolls und des 
zum Brückenbau bestimmten Zollzuschlags. Als 
Grundlage der Verzollung der einzelnen Waren 
erscheinen verschiedene Maße. Massengüter, z. B. 
Frucht, Kohlen, Weidasche. Hopfen, Wolle, Erbsen, 
Kork, wurden wagenladungsweise verzollt, wobei 
wieder unterschieden wird zwischen einem ourruo, 
einer earrata, einer oarrue» und einem „Slip 
wagen", für den wohl dem Schreiber ein paffendes 
lateinisches Wort gefehlt hat; eurrus und earrsta 
waren jedenfalls vierrädrige Wagen, die earruea, 
wie schon erwähnt, ein zweirädriger Karren und 
der „Slipwagen" eine sog. „Schleife", d. h. ein 
auf Schlittenkufen ruhendes Wagengestell, welche 
Art von Fuhrwerk sich bis in die ersten Jahr-
	        
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