Full text: Hessenland (27.1913)

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war Pate des einen, und der Pfarrer im Haufe 
gegenüber mag ihnen manche Anregung gegeben 
haben in besonderem Unterricht. Doch die beste 
Bildung besaßen sie aus der heiligen Schrift. Mir 
hat einmal ein Schriftsteller unserer Tage gesagt: 
„Mit dem einfachsten Mann, der die heilige Schrift 
kennt, kann ich stets eine gebildete Unterhaltung 
anknüpfen". So war es auch bei jenen. 
Noch heute sind eine Anzahl von Blättern da, aus 
denen man sieht, wie namentlich Cornelius einzelne 
Sprüche der heiligen Schrift niedergeschrieben und 
eine Auslegung auf Grund der Erfahrung und der 
Ereignisse seiner Zeit versucht hat. Die Nachkommen 
aber wissen zu erzählen, daß die Brüder manchmal 
im Felde die Arbeit plötzlich abgebrochen und heim 
geeilt seien, um einen Bibelspruch, der ihr Denken 
beschäftigte, nachzulesen. Und waren sie mal beim 
Studieren, dann konnten sie selbst Arbeit und Vieh 
füttern vergessen. Sonst aber waren es fleißige 
Männer mit überlegener Körperkraft, die manchen 
schweren Stein vom Muhlienberge herabgefahren, 
um das Wehr ihrer Werramühle in Wansried zu 
bauen. Das stille Studium gab ihnen eine geistige 
Überlegenheit über ihre Ortsgenoflen, dazu kam eine 
offenbar vorhandene Divinationsgabe, daß sie bei 
einem Diebstahl im Orte sofort den Dieb vor dem 
versammelten Volke bezeichneten. 
Mit dem Jahre 1806 kamen schwere Zeiten, 
eine Kompagnie preußischer Truppen lag aus dem 
Durchmärsche in Altenburschla. Beim Weggange 
sprach Cornelius zu einem Soldaten: „Euer armer 
Hauptmann und Euere arme Kompagnie, ich sehe 
fort und fort ihr Verderben" Wenige Wochen 
später nach der Schlacht bei Jena befand sich jener 
Soldat aus der Flucht bei Cornelius. Cr konnte 
nur mit Tränen bestätigen, was jener Bauersmann 
geahnt. 
In den Sturz Preußens war Hessen mitverwickelt. 
Bald war auch unser Altenburschla ein Dorf im 
Königreich Westfalen. Schwer war das unsern 
Vätern. Da stand an den Sonntagnachmittagen 
und abends Cornelius (sein Bruder war schon ge 
storben) da eben unter der damaligen dicken Dorf 
linde auf dem Anger und verkündete „Nur Geduld, 
es wird nicht ewig währen, in sieben Jahren wird 
die Macht Jörümes dahin sein" Bald hatten 
fränkische Kundschafter die Sache gemeldet. An 
einem Sonntagnachmittag führten französische Reiter 
den alten Heffen hinweg. Einen Blick warf er noch 
aus das alte Haus seiner Väter, einen zweiten nach 
der Kirche, wo er einst getauft und konfirmiert, 
einen dritten nach der Dorflinde, und ihre Zweige 
rauschten ihm zu: „Einst wird kommen der Tag 
der Freiheit". Nach einem kurzen Verhör auf dem 
alten Rathause in Wanfried — aus dem heutigen 
Marktplatze stand es — ging es ab nach Kassel. 
Er sollte aber die Residenz Jerümes nicht erreichen. 
In Eschwege war die Lebenskraft des Greises er 
schöpft. Von einem Soldaten bewacht, mußte er 
beim Wirte Scheuffler im Gasthause „Zum Anker" 
(heute Haus Nr. 10 zwischen den Brücken) bleiben. 
Der damalige Kommandant von Eschwege willigte 
ein, daß Cornelius ein Testament mache. Es geschah 
am 25. und 26. Januar. Beide Testamente find 
heute noch da. Am 28. Januar hatte er ausgelitten. 
Auf dem alten Friedhofe, dem Klausturme gegen 
über, hat Lorenz sein Grab gesunden, das noch nach 
langen Jahren seine Lieben von hier besucht. Soweit 
der Lebensgang jener einfachen Leute. 
Was wollen wir nun von ihnen lernen? Ich 
denke: Dreierlei. Zunächst soll es sein Treue und 
Fleiß, von denen der Dichter ausruft: 
„Und weil der Bauer noch mit Stolz 
Die eigne Scholle bant. 
Weil auf fein Haus von braunem Holz 
Er herzbefriedigt schaut. 
Weil noch de« deutschen Bauern Arm 
Das Beil schwingt donnerstark. 
Vergiftet nicht der Großstadt Harm 
Des deutschen Volkes Mark." 
(F. Dahn) 
Zum andern lernen wir von ihnen Vaterlands 
liebe. Der Menschen- und Geschichtskenner Macaulay 
sagt einmal „Nur die achtbaren, fleißigen und 
gottessürchtigen Bauern und Handwerker sind die 
wahre Stütze der Nation" Endlich zum dritten 
schauen wir auf die tiesste Wurzel von Treue und 
Vaterlandsliebe, das ist die Gottesfurcht, die da 
ausrufen kann „Gott ist unsere Zuversicht und 
Stärke, eine Hülse in den großen Nöten, die uns 
betroffen haben." So enthülle ich denn diese Tafel 
und lese vor, was in Granit geschrieben dasteht-. 
Hier wohnten die Brüder 
Cornelius Lorenz (1736—1807) und 
Nikolaus Lorenz (1746—1806), 
zwei gute Christen und treue Hessen in schwerer Zeit, 
genannt 
„Die Propheten von Altenburschla" 
Cornelius starb den 28.1. 1807 zu Eschwege in fran 
zösischer Gefangenschaft, ein Opfer der Fremdherrschaft. 
Die Gemeinde Altenburschla 
im Gedächtnisjahre 1913. 
Möge der Inhalt sein eine Erinnerung an die 
eiserne Zeit vor hundert Jahren, ein Antrieb für 
uns und kommende Geschlechter, daß wir bekennen 
und bezeugen mit einem der größten Geisteshelden 
der deutschen Nation: 
„Ein' feste Burg ist unser Gott'"
	        
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