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war Pate des einen, und der Pfarrer im Haufe
gegenüber mag ihnen manche Anregung gegeben
haben in besonderem Unterricht. Doch die beste
Bildung besaßen sie aus der heiligen Schrift. Mir
hat einmal ein Schriftsteller unserer Tage gesagt:
„Mit dem einfachsten Mann, der die heilige Schrift
kennt, kann ich stets eine gebildete Unterhaltung
anknüpfen". So war es auch bei jenen.
Noch heute sind eine Anzahl von Blättern da, aus
denen man sieht, wie namentlich Cornelius einzelne
Sprüche der heiligen Schrift niedergeschrieben und
eine Auslegung auf Grund der Erfahrung und der
Ereignisse seiner Zeit versucht hat. Die Nachkommen
aber wissen zu erzählen, daß die Brüder manchmal
im Felde die Arbeit plötzlich abgebrochen und heim
geeilt seien, um einen Bibelspruch, der ihr Denken
beschäftigte, nachzulesen. Und waren sie mal beim
Studieren, dann konnten sie selbst Arbeit und Vieh
füttern vergessen. Sonst aber waren es fleißige
Männer mit überlegener Körperkraft, die manchen
schweren Stein vom Muhlienberge herabgefahren,
um das Wehr ihrer Werramühle in Wansried zu
bauen. Das stille Studium gab ihnen eine geistige
Überlegenheit über ihre Ortsgenoflen, dazu kam eine
offenbar vorhandene Divinationsgabe, daß sie bei
einem Diebstahl im Orte sofort den Dieb vor dem
versammelten Volke bezeichneten.
Mit dem Jahre 1806 kamen schwere Zeiten,
eine Kompagnie preußischer Truppen lag aus dem
Durchmärsche in Altenburschla. Beim Weggange
sprach Cornelius zu einem Soldaten: „Euer armer
Hauptmann und Euere arme Kompagnie, ich sehe
fort und fort ihr Verderben" Wenige Wochen
später nach der Schlacht bei Jena befand sich jener
Soldat aus der Flucht bei Cornelius. Cr konnte
nur mit Tränen bestätigen, was jener Bauersmann
geahnt.
In den Sturz Preußens war Hessen mitverwickelt.
Bald war auch unser Altenburschla ein Dorf im
Königreich Westfalen. Schwer war das unsern
Vätern. Da stand an den Sonntagnachmittagen
und abends Cornelius (sein Bruder war schon ge
storben) da eben unter der damaligen dicken Dorf
linde auf dem Anger und verkündete „Nur Geduld,
es wird nicht ewig währen, in sieben Jahren wird
die Macht Jörümes dahin sein" Bald hatten
fränkische Kundschafter die Sache gemeldet. An
einem Sonntagnachmittag führten französische Reiter
den alten Heffen hinweg. Einen Blick warf er noch
aus das alte Haus seiner Väter, einen zweiten nach
der Kirche, wo er einst getauft und konfirmiert,
einen dritten nach der Dorflinde, und ihre Zweige
rauschten ihm zu: „Einst wird kommen der Tag
der Freiheit". Nach einem kurzen Verhör auf dem
alten Rathause in Wanfried — aus dem heutigen
Marktplatze stand es — ging es ab nach Kassel.
Er sollte aber die Residenz Jerümes nicht erreichen.
In Eschwege war die Lebenskraft des Greises er
schöpft. Von einem Soldaten bewacht, mußte er
beim Wirte Scheuffler im Gasthause „Zum Anker"
(heute Haus Nr. 10 zwischen den Brücken) bleiben.
Der damalige Kommandant von Eschwege willigte
ein, daß Cornelius ein Testament mache. Es geschah
am 25. und 26. Januar. Beide Testamente find
heute noch da. Am 28. Januar hatte er ausgelitten.
Auf dem alten Friedhofe, dem Klausturme gegen
über, hat Lorenz sein Grab gesunden, das noch nach
langen Jahren seine Lieben von hier besucht. Soweit
der Lebensgang jener einfachen Leute.
Was wollen wir nun von ihnen lernen? Ich
denke: Dreierlei. Zunächst soll es sein Treue und
Fleiß, von denen der Dichter ausruft:
„Und weil der Bauer noch mit Stolz
Die eigne Scholle bant.
Weil auf fein Haus von braunem Holz
Er herzbefriedigt schaut.
Weil noch de« deutschen Bauern Arm
Das Beil schwingt donnerstark.
Vergiftet nicht der Großstadt Harm
Des deutschen Volkes Mark."
(F. Dahn)
Zum andern lernen wir von ihnen Vaterlands
liebe. Der Menschen- und Geschichtskenner Macaulay
sagt einmal „Nur die achtbaren, fleißigen und
gottessürchtigen Bauern und Handwerker sind die
wahre Stütze der Nation" Endlich zum dritten
schauen wir auf die tiesste Wurzel von Treue und
Vaterlandsliebe, das ist die Gottesfurcht, die da
ausrufen kann „Gott ist unsere Zuversicht und
Stärke, eine Hülse in den großen Nöten, die uns
betroffen haben." So enthülle ich denn diese Tafel
und lese vor, was in Granit geschrieben dasteht-.
Hier wohnten die Brüder
Cornelius Lorenz (1736—1807) und
Nikolaus Lorenz (1746—1806),
zwei gute Christen und treue Hessen in schwerer Zeit,
genannt
„Die Propheten von Altenburschla"
Cornelius starb den 28.1. 1807 zu Eschwege in fran
zösischer Gefangenschaft, ein Opfer der Fremdherrschaft.
Die Gemeinde Altenburschla
im Gedächtnisjahre 1913.
Möge der Inhalt sein eine Erinnerung an die
eiserne Zeit vor hundert Jahren, ein Antrieb für
uns und kommende Geschlechter, daß wir bekennen
und bezeugen mit einem der größten Geisteshelden
der deutschen Nation:
„Ein' feste Burg ist unser Gott'"