Full text: Hessenland (27.1913)

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Der Karl schritt diese Treppe bedächtig hinaus 
und trat „ohne Anklopsen" in die Amtsstube des 
Bürgermeisters. Der saß, ein riesengroßer bärtiger 
Alter, hinter seinem Eichentisch und guckte nach 
denklich mit seinen runden Brillengläsern in ein 
dickes Aktenstück und malte nach einer Weile lang 
sam seinen Namen. Dann sah er den Karl an, 
der wartend in der Stube stand. Der Karl nahm 
seinen Hut ab und trat einen Schritt näher. 
„Das Aufgebot wollt' ich bestellen, Herr Bürger 
meister". sagte er rauhtönig und sah den Alten mit 
seinen langbewimperten schwarzen Kinderaugen trotzig- 
bittcnd an. 
„Das Aufgebot — V fragte der und langte ge 
wohnheitsmäßig nach dem dicken Eheprotokollbuch. 
Dann rückte er seine Brille und guckte drüber hinaus 
mißtrauisch nach dem Karl. „Was für ein Auf 
gebot?" 
„Mit der Burkhardts Anna", erklärte der Karl. 
„So," sagte der Bürgermeister, „warum kommt 
sie dann da net herauf mit ihrem Hochzeiter?" 
„Sie klopft Betten," berichtete der Karl zaudernd, 
„und der Hochzeiter — der bin ich doch!" 
„Du — ?" Des Alten Augen wurden riesengroß 
über den Brillengläsern. „Ja, — was sagt denn 
da der Vatter?" 
„Dem Vatter wird's schon recht sein", meinte 
der Karl zuversichtlich. 
„Und die Mutter?" fragte der Bürgermeister. 
Da machte der Karl ein bedenkliches Gesicht und 
schwieg. 
„Gell", sagte der Alte mitfühlend und nickte be 
dächtig mit dem Kops. Er sah den Karl immerzu 
genau an. Über das Kindergesicht des männlich 
breiten Burschen zog eine ganze Reihe von Emp 
findungen, und der Alte schien sich aufs Ablesen zu 
verstehen. 
Nach einer Weile fuhr er gutmütig fort „Ja 
also, Karl, guck' mal, die Einwilligung von Deinen 
Eltern mußt Du schon schriftlich herbeischaffen, ehe 
wir was machen können, denn Du bist doch minder 
jährig, gell? Wie alt bist Du denn eigentlich?" 
„Achtzehn", sagte der Karl leise und wurde rot 
über sein ganzes ernsthaftes Jungengesicht. 
„Und die Anna?" fragte der Bürgermeister. 
„Wir sind zusammen aus der Schul' kommen", 
sagte der Karl. 
„Seid Ihr denn einig?" 
„Das schon —" 
„Und die Anna will auch schon Hochzeit machen?" 
Der Karl trat von einem Fuß aus den anderen. 
daß der Sand auf den weißgescheuerten Dielen quiekte 
und kreischte. Nach einer Weile sagte er unsicher 
„Wir gehen miteinander, seit wir aus der Schul' 
sind, und —", dann schwieg er und sah den Alten 
mit langsam aufglimmendem Zorn an. 
In dessen gutes, schlaues Bauerngesicht kam ein 
Verstehen, er stand aus seinem Amtsstuhl auf und 
ging hinter seinem Tisch ein paarmal aus und ab. 
Unter seinem langen schneeweißen Patriarchenbart 
zuckte es vergnüglich. Die Fliegen summten in der 
stillen, sonnigen Amtsstube, jagten sich, fanden sich 
und ließen sich los in ihrem Liebesspiel. Und der 
Karl stand breit und still und guckte finster auf 
den riesenhaften Stadlvater, der seinen langen Bart 
behaglich strich. 
„Ja, Karl," sagte der Alte, „da muffen zuerst 
die Papiere herbei vom Pfarramt und dann die 
schriftliche Einwilligung von Deinen und von der 
Anna ihren Eltern. Und dann muß die Anna 
auch mit heraufkommen, denn sie muß ihren Namen 
schreiben." 
„Ja — da muß ich sie aber doch als zuerst 
fragen", platzte der Karl heraus. 
Der Bürgermeister blieb stehen. „Ja — hast 
Du sie denn net gefragt?" 
„Beileib net", sagte der Karl ganz verdutzt. 
«Gell — Du willst mich uzen?" 
„Gewiß net, Herr Bürgermeister." 
Der Alte sah den Jungen lange an. Seine 
Augen funkelten bedrohlich über den runden Brillen 
gläsern Dann kamen ahec doch die vergnüglichen 
Fältchen wieder in die Augenwinkel, und er sagte 
ganz väterlich „Also, hör' mich emal an, Karl. 
Du hast den Vatter und die Mutter net gefragt, 
und die Anna weiß auch noch von nix, und dann 
kommst Du hier heraus und willst das Aufgebot 
bestellen? Ja, was sind denn das für Späss'? 
So — mir nix, dir nix?" 
Der Karl bekam einen roten Kopf. Er senkte 
ihn wie ein Gescholtener, und in seinen Augen 
glomm wieder ein schwerfälliger Zorn aus. Aber 
er fand nicht so bald eine Gegenrede, und der Alte 
betrachtete ihn schweigend und hielt die Hände auf 
dem Rücken. Aus einmal sagte der Bursche ganz 
heiser: 
„Also — ich bin nachher net schuld, wann ebbes 
passiert —", kehrte sich schwerfällig um und schritt 
so gemessen und dröhnend hinaus, wie er gekommen 
war. Der Alte guckte noch eine Weile nach der 
weißlackierten Tür. Dann nahm er seine Akten 
wieder vor. (Schluß folgt.)
	        
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