schematisch auch sür Hessen vielfach irrtümlich an
genommen wird, haben sich in Hessen u. z. im
wesentlichen im Zeitalter der Reformation und
der Gegenreformation die Anfänge eines hessischen
Beamtenstandes gebildet?)
Die Ritterschaft hat auch noch in dieser und in
späterer Zeit genug Männer geliefert, die teils als
„adelige Räte" neben den „gelehrten Räten" in
der Zentral-Jnstanz „der fürstlichen Kanzelei" oder
„Regierung", teils als „Oberamtmänner" oder
„Landvögte" an den entfernteren und wichtigeren
Amtssitzen, z. B. in Rheinfels, Schmalkalden,
Marburg voll ihren Aufgaben und Pflichten gerecht
wurden. Im allgemeinen fanden aber in dieser
Übergangszeit die Söhne des hessischen Adels eine
ihrer Eigenart mehr entsprechende Betätigung und
den ihnen sehr notwendigen Lebensunterhalt da
durch, daß sie Kriegsdienste nahmen, wo immer
sie sich ihnen ohne Verletzung ihrer Lehnspflicht
darboten. Auch gingen mit der zunehmenden Ver
drängung der Naturalwirtschaft durch das Geld
wesen bei dem auf kleinen dürftigen Gütern in
weitverzweigten Sippen sitzenden hessischen Adel
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Wohl
stand und Leistungsfähigkeit so bedeutend zurück,
daß nur wenige seiner Familien ihren Söhnen die
für den Besuch der Universität nötigen Mittel
gewähren konnten. Die Landesfürsten fanden daher
die für die veränderten Aufgaben geeigneteren
Leute mehr und mehr unter denjenigen städtischen
Familien, die — wie wir dies bei den Melsnnger
Geyses gesehen — bei einem gewissen Wohlstände
auch eine vermehrte Bildung durch Besuch der
aufkommenden Universitäten sich aneignen konnten.
So kam es, daß im Laufe des 16. Jahrhunderts
in Hessen der fürstliche Rentmeister immer mehr
den ritterlichen Amtmann verdrängte und neben
seiner ursprünglichen Tätigkeit als ein dem Amt
mann beigcgebener Finanzbeamter (Renlschreiber)
zum alleinigen Träger der gesamten lokalen Ver-
waltnng wurde und bei der damaligen Verquickung
von Verwaltung und Gerichtswesen neben und
über dem Schultheißen stehend, auch Einfluß
ans die Rechtspflege gewann. Die landesfürstliche
Autorität, die an sich schon in Hessen durch die
seltene Regententüchtigkeit eines Philipp und
Wilhelm IV., durch die religiöse Grundstimmung
dieser Zeit und die neuen Einrichtungen der
protestantischen Kirche gewaltig gesteigert war,
übertrug sich auch auf die „Beamten" * 4 ), und die
*) In den anderen Territorien war die Entwicklung eine
ähnliche. Siehe Schröder „Lehrbuch der deutschen Rechts-
geschichte" S. 578, 824 ii. ff.
4 ) Unter „Beamten" versteht man in dieser Zeit in Hessen
stets „Rentmeister und Schultheißen"
Tüchtigkeit der letzteren erhöhte andererseits wieder
die landesherrliche Gewalt. Die Untertanen aller
Stände gewöhnten sich immer mehr daran, die
fürstliche Kanzelei und die „Beamten" als Helfer
und Schiedsrichter in ihren Nöten und Streitig
keiten anzurufen ^), und so vollzog sich ganz von
selbst der Übergang vom ständischen Lehnsstaat zu
dem Beamtenstaat des absoluten Fürstentilms,
von der volkstümlichen Rechtsprechung der Schöffen
zu dein ausschlaggebenden Einfluß des gelehrten
Richters. Eine Entwicklung, die in Hessen durch
die 35 jährige Mißregierung des Landgrafen Moritz
nicht ausgehalten wurde und durch den 30jährigen
Krieg und seine Folgen zum Abschluß kam, die
bei allen ihr anhaftenden Mängeln einen gewaltigen
Kulturfortschritt bedeuten sollte.
In den von Landgraf Philipp und
Landgraf Wilhelm IV herangezogenen
und herangebildeten Rentmeistern sind
die Hauptwurzeln des hessischen Beamten
standes zu suchen. Sie sind die Vorläufer
des Einzelrichters und des Landrats der Neuzeit.
Aus ihrer amtlichen Wirksamkeit und vorzugsweise
auch aus ihren Söhnen sind die letzteren hervor
gegangen. Die gleichen Amtstitel haben im Laufe
der Jahrhunderte einen ganz verschiedenen Inhalt.
Der Rentmeister wurde im 18. Jahrhundert wieder
mehr zum bloßen Finanz- und Kassenbeamten, und
für den Einzelrichter wurde der alte Amtmanns-
Titel üblich. Die Borkener Amtsrechnungen und
Akten liefern zu diesem, im wesentlichen nach den
Angaben von Stölzel geschilderten Entwicklungs-
Prozeß außer den angeführten noch mannigfache
Belege?)
6 ) Hierfür zwei Beispiele: Am 12. Dezember 1584 be
schweren sich 28 Bürger von Melsungen über Bürger
meister und Rat und bitten, Landgraf Wilhelm möge „den
Salzgraven von Allendorf, Johan Renanus benebens auch
E. F. Gn. Rentmeister von Borken, Peter Geisen, welche
alte Mitbürgerskinder alhier und sonsten aufrichtige
Männer sein, vor Commissarien aus Gnaden ordinieren,
daß sie alles inquirieren und die Rechnungen von 18 Jahren
revidieren" lMels. Akten)
Am 27. März 1596 erklären Gerhardt von Löwenstein
und seine Ehefrau Klara geb. v. Breidenstein, die mit
ihrem Vetter Kurt von Löwenstein wegen des Zehnten in
Borken und anderer Forderungen im Streit waren und
schon mehrmals vor fürstlicher Kanzelei verhandelt hatten
„jetzt aber haben der ernhafte und vorachtbare Peter Geise,
Rentmeister zu Borken, wie dann auch der würdige und
wohlgelehrte Herr Martin Geise. Psarrherr zu Bischhausen
sich zwischen uns ins Mittel gesetzt und es zur Erhaltung
so naher Freundschaft dahin bearbeitet" daß sie gegen
eine Zahlung von 150 Rtlr. aller Forderungen an ihren
Vetter entsagen.
(NB. Der Pfarrer Geise. 1581 als Martinus Giso in
Marburg immatrikuliert, stammte aus Böddiger.)
") Über die spätere Entwicklung finden sich interefiante
Einzelheiten in dem Aufsatz von Jean Woringer „Tie