Full text: Hessenland (24.1910)

Rr. 18. 24. Jahrgang. Zweites September-Heft 1910. 
Zum Andenken an meinen lieben Vater. 
Von Hans Altmttller. 
Am 23. September dieses Jahres ist ein Menschen- 
alter verflossen, seit seinen Zeitgenoflen ein wahrhaft 
bedeutender Mann, der hessischen Literatur einer 
ihrer ausgezeichnetsten Vertreter, vielen Hülfesuchen- 
den ein unvergleichlicher Ratgeber und dem Ver 
fasser dieser Zeilen ein herrlicher Vater genommen 
wurde, und indem es dem Sohne als ein wohl 
gegründetes Recht und sogar, eine herzlich gefühlte 
Pflicht erscheinen darf, an dieser Stelle Worte des 
Gedächtnisses zu reden, hat er nur die einzige Gefahr 
zu vermeiden, aus der für ihn bestehenden Überfülle 
des Stoffs nicht etwa zu viel, sondern gerade zu 
wenig zu geben. Denn wenn auch, wessen das Herz 
voll ist, der Mund übergeht, so raubt doch leicht 
das allzuvolle Herz der Lunge den Atem und 
dem Munde die Rede. Dazu kommt, daß das Bild, 
das hier gezeichnet wird, den meisten nicht ein 
eigenes zurückrufen, sondern ein neues erst schaffen 
soll, da deren, die Karl Altmüller persönlich gekannt 
haben, heute nicht die Mehrzahl sein kann. 
In der Literaturgeschichte lebt sein Name als 
der eines Lyrikers und Novellisten fort, und der 
berechtigtere Ruf des echten lyrischen Dichters 
wird, falls auch die zünftige Wissenschaft schweigen 
sollte, durch die unbestreitbare Popularität wenigstens 
eines seiner Lieder, des wunderschönen Heffenliedes 
„In der Fremde", vielleicht lokal begrenzt, doch 
hier auch voll begründet bleiben. Als Poet war 
Karl Altmüller durch die tiefe Innerlichkeit und 
Wahrhaftigkeit seiner Natur weit mehr zum Lyriker 
als zum Epiker berufen, zumal eine reichlich fließende 
humoristische Ader einer objektiv entwickelnden Er 
zählungskunst im Wege stand. Und diese humo 
ristische Begabung hat auch seiner Lyrik das Gepräge 
gegeben. So köstlich auch viele der ernsten Gedichte 
sind, die ganze Eigenart zeigen erst die komischen, 
besonders die halb humoristischen und halb sehr 
ernsthaften Gelegenheitsgedichte an Personen. Ge 
dichte wie die an die Braut (vor allen „Weißt 
Du's auch noch", „Ein Kinder- und Hausmärchen" 
und „Zukunftsmusik") und die Mutter des Dichters 
(namentlich „Mit einer vergoldeten Tisch-Uhr"), 
an Ernst Koch und Franz Dingelstedt sind ebenso 
künstlerisch vollendete wie durchaus originelle Schöp 
fungen wahrer Lyrik. Darum, wenn wir Ernst 
Koch als den humoristischen Epiker unserer hei 
mischen Literatur ansehck können, dürfen wir Karl 
Altmüller als den humoristischen Lyriker betrachten. 
überhaupt wird man in der nur gar zu karg 
bemessenen Auswahl seiner „Gedichte", die in Kassel 
1864 erschien, kein einziges finden, das nicht seinen 
Wert und seine Eigentümlichkeit hätte. Eine gewisse
	        
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