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Leben einzutreten, so erbauten wir uns nun in der
jungen Reichshauptstadt an der ehrwürdigen und
imponierenden Erscheinung der Männer, denen wir
das Reich und das Reichsland verdankten, des alten
Kaisers Wilhelm I., Bismarcks und Moltkes. Und
K., dem der Respekt vor jeder tüchtigen Persön-
lichkeit und die rückhaltlose Bewunderung über
ragender menschlicher Größe tief im Blute steckte,
hat die Eindrücke der Berliner und Straßburger
Semester zusammengeschlosten als den sesten Unter
grund seiner nationalen und politischen Gesinnung.
Ostern 1879 kehrte er, während mich Krankheit
von der Universität fern hielt, nach Straßburg
zurück und schloß hier seine in Berlin begonnene
Promotionsschrist ab: im Anfang November bestand
er das Rigorosum unter Scherers Nachfolger Ernst
Martin — der ihm nun (am 13. August d. I.)
um einen Tag im Tode vorausgegangen ist. Unsere
Studien hatten deutsche Philologie, Sanskrit und
Sprachvergleichung, daneben auch alte und neue
Sprachen umfaßt, sie waren zumeist parallel ge-
gangen und hatten sich nur zuletzt teilweise ge
schieden, indem ich unter ten Brink das Englische,
er die Geschichte neben dem germanistischen Haupt
sache bevorzugte. Seine zum Buch ausgestaltete
Dissertation erschien als Heft 43 der damals von
ten Brink, Martin und Scherer herausgegebenen
„Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kultur-
geschichte der germanischen Völker" 1881 : sie brachte
die erste kritische Ausgabe eines der reizvollsten Ge
dichte der mittelhochdeutschen Blütezeit, der „Kind
heit Jesu" von Konrad v. Fußesbrunnen, einem
österreichischen Autor. Als Heft 44 ist ihr alsbald
meine eigene Erstlingsarbeit gefolgt- so sind wir,
wie in das Studium, auch in die literarische Öffent
lichkeit zusammen eingetreten.
Bald nach dem Doktorexamen siedelte K. nach
Marburg über, um sich dort für die Prüfung als
Kandidat des höhern Lehramtes vorzubereiten. Den
Abstand des wissenschaftlichen Strebens, wie er da
mals zwischen Marburg und Straßburg zu Tage
trat, empfand er lebhaft, aber nur anfangs pein
lich, denn bald tauchte er noch einmal in dem
studentischen Treiben unter, das ihn in Marburg
mit ganz anderem Reiz als in Straßburg und
Berlin erfaßte: er schloß sich der Verbindung Ger
mania an, in der er einzelne alte Freunde fand
und viele neue hinzugewann, und er ist ihr auch
durch die verschiedenen Wandlungen bis zur Burschen
schaft treu geblieben: Band und Mütze der Mar-
burger Germanen schmückten seinen Sarg, als er
in die Feuersgluten hinabsank.
(Schluß folgt./
Lieb Vaterland, magst ruhig fein.
Eine Jugenderinnerung aus großer Zeit von Heinrich Bertelmann.
(Fortsetzung.)
II.
Es war ein wunderbarer Tag. Alle Arbeit blieb
liegen und stehn. Die sich begegneten, reichten
einander bewegt die Hände. Die Frauen weinten.
Der alte Schäserhöser, der seit Jahr und Tag mit
seinem Nachbar verfeindet war, hatte mit deflen Frau
ein langes Gespräch unter dem Fenster geführt.
Der Gewohnheit Bürde brach aus dem Bande.
Der Kantor hatte die Kinder früher entlasten. Die
Ackerleute blieben heute allesamt mit Pflug und
Wagen im Kruge hängen.
Etwas Unerhörtes mußte geschehen sein. In dem
vielgenannten Namen „Sedan" schien alles zusammen
gefaßt.
Der Pfarrer, der von Haus zu Haus ging, kam
bei uns vor. Ein großer Sieg war errungen. Den
Franzofenkaiser hatten sie gefangen. Das Ende des
Krieges war da. Das frohe Wort von der Heimkehr
der Sieger wurde wach. wenn gleich die bange Frage
nach den Verlusten nicht stumm werden wollte.
Mein.Vater holte eine Flasche Wein aus dem
Keller, die wohl von einem Krankheitsfälle herrührte.
Der Knecht mußte hereinkommen, und die beiden
stießen mit dem Pfarrer an und tranken aus eine
glückliche Wiederkehr der Dorfgenossen.
Und erst der Abend! Mit meiner Schwester
suchte ich alle Flaschen zusammen, die sich in Küche
und Keller austreiben ließen. Auf jede pflanzten
wir ein Talglicht.
Böllerschüffe donnerten von den Bergen. Die
Glocken begannen ihr dröhnendes Lied. Die Dorf
kapelle marschierte heran, Burschen und Mädchen,
Kinder und Frauen hinterher. Das ganze Dorf
war auf der Straße.
Run flammten hinter den Fenstern die Lichter
auf. Und wer keine Kerze austreiben konnte, griff
zum blankgeputzten Öllicht.
Die jubelumrauschten, ehrwürdigen Bauernhäuser
schauten staunend aus den nie erlebten Trubel her
nieder, als überlegten sie, wie es anzufangen sei,
den festen Grund zu verlaffen. um mit einzustimmen
in das Gejauchze der sonst so stillen Dorfbewohner.
Längst vergeffene Erinnerungen wurden wieder
wach. Das Getrappel jener französischen Armee,