Das wilhelrnshöher Riesenschlotz unö öre Herkulesstatue
unö ihre
Von C. Ne
ine strenge und unerbittliche Herrscherin ist die
Geschichtsforschung. Manche der Mit- und
Nachwelt überlieferte und von Tausenden gläubig
nacherzählte Begebenheit wird durch zufällig ans-
gefundene Urkunden oder Aufzeichnungen entweder
als geradezu unwahr hingestellt, oder doch als nicht
fv geschehen, wie bisher mitgeteilt worden; und
es wird aus solche Weise der Schleier manches
dunkeln Geheimnisses gelüstet. Wenn nicht im
Jahre 1900 Arbeiten an dem Niesenschloß zu
Wilhelmshöhe stattgefunden hätten und wenn
nicht bei dieser Gelegenheit die Schüdeldecke des
alten Heiden ans der Pyramide abgenommen und
dabei die verhängnisvolle Platte entdeckt worden
wäre, so würde wahrscheinlich niemand auf den
Gedanken geraten fein, daß ein anderer als der
bis dahin allgemein genannte Kasseler Hof-Kupfer
schmied Otto Philipp Küper die Herknlesstatne
verfertigt habe. Nicht immer steht aber auch das
Verhältnis der Beteiligung von zwei Künstlern
an dem nämlichen Werke so fest, wie z. B. bei
dem Denkmal des Großen Kurfürsten auf der
Langen oder Kurfürsten-Brücke in der Nähe des
Königlichen Nesidenzschlosses zu Berlin, als dessen
Schöpfer der berühmte Baumeister und Bildhauer
Andreas Schlüter und als ausführender Gießer
der auch angesehene Kupferschmied Johann Ja-
coby genannt werden.
Bevor wir nun zur Herkulesstatue übergehen
lind zu der Frage, von wein dieselbe herrühre,
ob von dem bereits genannten Küper oder dem
neuerdings auf die Bildflüche getretenen Johann
Jakob Anthoni, Goldschmied aus Augsburg,
möchte es sich empfehlen, wenigstens in großen
Zügen die Baugeschichte des Riesenschlosses aus
dem Winterkasten vor uns vorüberziehen zu lassen,
und zwar einmal auf Grund der darüber vor
handenen Schriften und Bücher in der hiesigen
Landesbibliothek und der Bibliothek des hessischen
Geschichtsvereins, sodann aber der im Königlichen
Staats-Archive auf dem Schlosse zu Marburg
vorhandenen Urkunden, wobei hiermit den Be
amten dieser Anstalten für ihre freundliche Unter
stützung der verbindlichste Dank ausgesprochen
wird.
Erbauer.
ber, Kassel.
Landgraf Karl, der bekanntlich von 1670-1730
regierte, errang nicht nur durch seine in verschiedenen
Ländern siegreichen Truppen kriegerische Lorbeeren,
sondern verstand auch daneben, mit der Friedens
palme sich zu schmücken, und hat namentlich zwei
weltberühmte Schöpfungen hinterlassen: die Karls-
Aue und das Riesenschloß zu Wilhelmshöhe,
das von der Mitwelt wegen des ungeheuern
Kostenanswandes und der mühseligen Arbeiten
vielgeschmähte, dagegen von der Nachwelt gepriesene
und angestaunte Werk. Vergegenwärtige man sich
die damaligen Zustände, in denen sich die jetzt
mit so herrlichen Anlagen ausgestattete und von
so zahlreichen Einheimischen wie Fremden besuchte
Wilhelmshöhe befand. Zwar hatte schon Land
graf Moritz der Gelehrte (1592 — 1627) an
Stelle des einstigen Klosters Weißenstein ein
ganz ansehnliches Schloß aufgeführt (1606) und
dasselbe mit verschiedenen Anlagen umgeben. Dieses
Schloß war aber in den Stürmen des dreißig-
jährigen Krieges zerstört und die schönen Anlagen
weggefegt worden. Da faßte der stets für das
Große und Erhabene glühende und wegen der
Vielseitigkeit seiner Neigungen und seines Sammel-
Eifers in der damaligen Sprechweise als „curieuser
Herr" bezeichnete Landgraf Karl den kühnen Plan,
die zwar arg verwilderte, indessen mit prächtigen
Waldungen versehene Gegend, in welcher auch
mancher hessische Landesherr mit seinem Gefolge
des edlen Waidwerks pflegte, durch einen groß
artigen Bau zu verschönern, zugleich aber die
Ruhmesthaten der tapfern Heerschaaren
des Hessenlandes durch ein weithin über
die Berge hinaus sichtbares Denkmal
berf)errltcf)ett.
Bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts (1696)
wurde begonnen, jedoch das damals in Angriff
genommene Stück auf der eigentlichen Spitze des
Berges, welches daher den Namen des alten
oder kleinen Winterkastens noch führt, rechts
von der späteren Anlage und noch heutigen Tags
von der Wirtschaft benutzt, bald wieder, vermnt-
') Bergt, die Inschrift einer später noch zu erwähnenden
Medaille auf den Herkules; s. auch Rommel Bd. X, S. 158.