325
Auch L. Schwarzenberg klagt über die jämmer
lichen Zustände der Zeit:
„Wenn wir zusammenhielten treu ohne Zagen,
es würde unser Ruhm die Welt durchjagen!
Wir wären nicht gestoßen aus der Schar
der Völker, die am Freihcitshochaltar
der Freiheit bringen ihre Opfer dar.
Wenn wir zusammenhielten treu und fest,
so wäre unser Auge nicht benäßt,
wcnn's die Geschichte liest, die uns verkündigt,
wie sehr wir an der Freiheit uns versündigt.
Das Stallbkorn einzeln am Wege liegt
beim leisesten Windhauch verweht, verfliegt.
Doch fließt es zusammen und bleibt im Verein,
so wird eü ein mächtiges Felsgestein;
und weht der Sturmwind fort und fort:
Er rückt es nimmer von seinem Ort.
Geschrieben in der Zeit einer schmachvollen Reaktion,
aber mit der festen Zuversicht einer bald sich verwirklichenden
besseren Zukunft, welche gesetzlicher Freiheit eine feste Stätte
bereitet und alle deutschen Stämme zu einem großen, einigen
Volk verbindet."
Kassel. 20. XI. 53. L. Schwarzenberg.
Der durch Vilmar zwangsweise versetzte Kon-
sistorialrat Kraushaar schrieb „bei seinem ge
zwungenen Abschied von Kassel am 24.Oktober 1852":
„Die Kanzel ist's, wohin zuletzt das freie Wort sich flüchtet
und mit zweischneid'gem Schwert der Wahrheit Feinde richtet
Die Wahrheit aber siegt, mag auch im Bund mit blindem
Glauben
Gewalt dem freien Wort die letzte Freistatt rauben."
Auch Kraushaars Amts- und Schicksalsgenosse
Asbrand ist mit einem längeren Abschnitt aus
seiner Kasseler Abschiedspredigt im Album verewigt.
Der vortreffliche hessische Jurist B. W. Pfeiffer-
trug hochbetagt am 12. November 1851 seinen
Wahlspruch ins Stammbuch Bernhardts ein:
„Was der Mensch nicht aufgiebt, hat er auch nicht
verloren. (Prinz Albrecht v. Preußen.)
Zur freundlichen Erinnerung an einen alten treuergebenen
Freund, dem jener trostreiche Wahlspruch unter den miß
lichsten Verhältnissen zum Leitstern seiner Handlungen im
öffentlichen Leben gedient hat."
Der berühmte Leiter der Kasseler Theaterkapelle
weckt die Erinnerung an das Jahr 1848 mit
folgender Eintragung:
„Die obigen Anfangstakte des Sextetts, op. 140, ge
schrieben in der freudigen Begeisterung des Jahres 1848
bei der Erhebung Deutschlands zu Freiheit und Einheit
mögen hier ein Plätzchen finden als wehmütige Erinnerung
an jene Zeit." *)
Kassel, 28. Xl. 51. Louis Spohr.
*) In seinem Kompositionsverzeichnis hatte Spohr bei
Aufnahme des Sextetts die Worte hinzugefügt: „Geschrieben
im März und April zur Zeit der glorreichen Volks
revolution zur Wiedererweckung der Freiheit, Einheit und
Größe Deutschlands." Anm. d. Red.
Auch Sylvester Jordan, der schwergeprüfte
Schöpfer der kurhessischen Verfassuugsurkunde, widmet
sein niedliches Gedichtchen „seinem langjährigen
Freunde zur Erinnerung an die Zeit des deutschen
Parlaments":
„Warum kommt denn im deutschen Aaterlande,
die heißersehnte Einheit nicht zu Stande?
Die Antwort giebt uns kurz und klar
des deutschen Reiches Doppelaar.
deß' einen Leib zwei Köpfe drücken,
die sich einander nie anblicken;
von denen jeder will allein
des Leibes Haupt und Zierde sein;
doch wenigstens, da dies mißlingt,
auf gleiches Recht der Herrschaft dringt.
< Solang zwei Köpfe wollen oberherrlich walten,
kann sich die Einheit Deutschlands nicht gestalten;
cs müßte denn den Diplomaten —
worüber sie schon lang beraten —
das immer noch mißlung'ne Werk gelingen,
" zwei Köpfe unter einen Hut zu bringen.
Denn schwerlich wird uns Gott so gnädig sein
und unsern Aar von einem Kopf befreien."
Ebenso erinnert Hermann Koch an das Frank
furter Parlament:
„In aufrichtigem, auf Liebe zu Gott gegründetem Ver
langen nach Vervollkommnung allein besteht die wahre
Größe, das wahre Glück des Menschen; dies Verlangen
macht ihn getreu, selbstverleugnend und ausdauernd, selbst
wenn die besten Absichten verkannt werden.
Indem ich diese Worte, deren Wahrheit Sie, verehrtester
Freund, gewiß an sich selbst erprobt haben, mit Hinweisung
auf die von Goethe kurz vor seinem Heimgänge in ein
Stammbuch geschriebene Zusprache Walthers Fürst (in
Schillers Tell):
.Erwartet nur und faßt Euch in Geduld'
Ihnen zurufe, bitte ich Sie noch mal in später Zukunft
sich zu erinnern, was ich Ihnen bei Ihrer Abreise zur
Nationalversammlung zu Frankfurt im April 1848 in
Hinsicht auf die Wahl eines österreichischen Prinzen zum
Reichsoberhaupt und auf die Teilnahme von Vertretern
Österreichs an jener Versammlung äußerte, des demnächstigen.
jedenfallsigen Anschlusses der deutschen Elemente sicher und
eingedenk des Ausspruches des Sophokles:
,Nach Unmöglichem sich sehnend, warf schon mancher,
was er hatte, weg'."
Weniger politisch angehaucht sind die Verse, welche
der Geheime Finanzrat Schotten in unser Album
eingetragen hat:
„Denn wer mit dem, was ihm beschieden
und dem Berufe treu zufrieden
im Kreise seines Wirkens lebt,
nach höherem Schattenglück nicht strebt,
wer Honig saugt aus jeder Blume,
aus Mammon nicht und eitlem Ruhme
die Pläne seiner Zukunft webt,
wer Frohsinn auch bei trüben Stunden
in stiller Häuslichkeit gefunden,
wen Liebe lohnt, wen Freundschaft hält
daß er im Lebenssturm nicht fällt,
und wer sich freut der schönen Welt,
der hat den rechten Lauf begonnen,
der ist der Täuschung Qual entronnen,
der hat — das große Los gewonnen.