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Me Hochzeit des Landgrafen Georg von Hejfen-Aarmstadt
mit der Gräfin Wagdalene non der Lippe.
Von Philipp Losch.
(Schluß.)
C rotz des späten Zubettgehens erhob sich Wolrnd
am anderen Morgen (19. August) schon um-
4 Uhr zur gewohnten Morgenandacht. Bald
darauf erschienen bei ihm Boten aus der Heimath.
Der Lehrer seines Sohnes Wolrad Valentin ns
Tinctor (Ferber) und Wolrad's Koch David
waren zu Fuß von Waldeck hergelaufen, um die
großartige Stadt Kassel (magnisteentiain urbis)
und den Zug der fürstlichen Herrschaften zu
sehen. Sie brachten cmdj einen Brief von
Stephan Schott, dem Statthalter und Gevatter
des Grafen mit, in welchem er seinen Herrn bat
in Kassel Gewürze einzukaufen und mitzubringen.
Wolrad führte auch diesen Auftrag aus, indem
er für 8^/2 Thaler der in jener Zeit trotz des
theuren Preises so begehrten aromata bei einem
Kaufmann der Stadt erwarb. Seine Wanderung
in der Stadt benutzt Wolrad auch, um das kurz
vorher vollendete Grabdenkmal Philipp's des
Großmüthigen, oder wie er ihn trennt „illustrissimi
Mavortii ad res gerendas nati Cattorum
principis felicis memoriae“ zu bewundern. Er
beschreibt es kurz als ex Lydio lapide e Gallicia
advecto, commixto lapide Allabastro Gallico
Hessiaci (?) a quodam Beamontano*) picardo
exsculpta ut ars. artificem habet. Magister
Georgius ecclesiastes huius urbis, durch dessen
Vermittelung der Graf das Denkmal besichtigen
konnte, mußte ihm versprechen, eine genaue
Zeichnung mit allen darauf befindlichen Inschriften
innerhalb 14 Tagen anzufertigen, und erhielt
dafür im Voraus einen Thaler.
Nachdem Wolrad in seiner Herberge noch einige
Briefgeschäfte erledigt hatte, begab er sich mit
seinen Kindern auf das Schloß. Seine älteste
Tochter Katharina, die durch den längern Aufent
halt im Schloß**) daselbst Bescheid wußte, sagte ihm,
wenn er die fürstlichen Kinder sehen wolle, so solle
er sich in medio unius ambulachri stellen und
durch die Fenster die Kinderwärterinnen ansprechen.
Wolrad folgte diesem Rath, und auf seine Bitte
brachten die Wärterinnen auch die kleinen Prin
zessinnen an das Fenster, wo sie den alten Grasen
freundlich anlächelten und ihm gnädig ihre kleinen
Händchen reichten. Es waren die kleinen Fräulein
*) Elias Godefroy und Adam Beaumont waren die
Verfertiger des Denkmals.
**) Sie war wie oben erwähnt schon früher mit der
Mutter der Braut nach Kassel gereist.
Anna Maria (geb. 1567), Hedwig (geb. 1569)
und Sophia (geb. 1571). Wolrad bat dringend,
sie sollten ihm doch auch den Landgrafen Moritz
zeigen. Man brachte den erst wenige Monate
alten jungen Herrn (geb. 25. Mai 1572), der
noch im Steckkissen steckte und eben mit Milch
getränkt wurde, aus seiner Wiege herbei und
legte ihn in die Arme des Grafen, der das
Zeichen des Kreuzes über seine Stirn machte*)
und in seinem Herzen ihn und seine Eltern dem
Schutze Gottes empfahl. Mit seinen kräftigen
Kinnbacken und den hellen Augen hatte schon
der kleine Säugling nach Wolrad's Ansicht
Aehnlichkeit mit dem Vater. Die ihm erwiesene
Gefälligkeit der Kinderwärterinnen lohnte Wolrad
mit einem reichen Trinkgeld von 3 Goldgulden
und mahnte sie dabei recht vorsichtig und sorgfältig
mit ihren Pflegebefohlenen umzugehen.
Eben wollte der Gras sich entfernen, als Hof
leute durch den vor dem Schlafzimmer der jungen
Herrschaften liegenden Gang schritten, denen die
ganze Schaar der fürstlichen Damen aus dem
Frauenzimmer auf dem Fuße folgte. Als Wolrad
still bei Seite treten wollte, trat eine der Fürstinnen
auf ihn zll und reichte ihm freundlich grüßend die
Hand. Er glaubt, daß es die Herzogin Christine
von Holstein, Gemahlin des Herzogs Adolf, ge
wesen sei. Außer ihr schritten im Zuge die
drei Landgräfinnen von Hessen, Gemahlinnen
Wilhelm's, Ludwig's und Philipp's, und die Ge
mahlinnen Philipp's und Wolfgang's von Brann-
schweig-Grubenhagen nebst anderen hohen Frauen.
Wolrad, der über diese Begegnung wie über den
Besuch bei den Kindern des Landgrafen sehr be
friedigt war, hatte am Abend desselben Tages noch
eine Begegnung mit dem Landgrafen selbst. Als
er nach dem Abendessen aus dem Schlosse mit
Hermann Simon von der Lippe und seinem Bruder
Franz zusammenstand, trat der Landgraf auf ihn
zu, reichte ihm die Hand und fragte freundlich:
„Mein Alter, wie geht's heut?" Wolrad hatte
nämlich am letzten Tage aü den Augen gelitten,
was der Landgraf wohl bemerkt haben mußte.
Der Waldecker dankte höflichst und benutzte die
Gelegenheit, den Landgrafen um Urlaub für den
*) Die Sitte des Kreuzschlagens hat noch lange nach der
Reformation in Hessen bestanden, erst die Mauritianische
Kirchenverbesserung hat mit diesem vermeintlichen Rest
papistischen Heidenthums aufgeräumt.