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Meer und dem Gebirge mit der Stadt im
Hintergrund sieht man nur nackte Kreidefelsen,
hier und da spärliches Gras und auf dem höchsten
Felsen ein schwarzes Holzkreuz, das sich malerisch
gegen den schön gezeichneten Himmel abhebt. In
biegen Felsen ist ein Muttergottesbild eingefügt,
vor dem drei Frauen beten Eigenthümlich scharf
sind an den Felsparthien die Licht- und Schatten
wirkungen herausgehoben und in effektvollen
Kontrast gesetzt zu den leicht spielenden Lichtern,
die das weichwogende Wasser durchziehen. Ein
zelne Segelboote beleben diese Einsamkeit. Das
Blatt reizt immer wieder zur Betrachtung. Es
ist .Styl und Charakter darin. Das einzig
Störende sind die sehr hölzern ausgefallenen
Frauengestalten mit ihrem römischen Kopsputz,
der das Eckige ihrer Erscheinung noch vermehrt.
Sie sind auch gewiß nur nachträglich und wie
zufällig in das Bild hineingesetzt worden und
ganz flüchtig gearbeitet. Am erstaunlichsten ist
die Behandlung des Wassers, und Jeder, der
einmal an einer italienischen Küste gestanden hat,
muß die Wahrheit der Darstellung bewundern.
Wie halbverschleiert erscheint über dem Ganzen
die symbolische Idee, die in der Felsklippe mit
dem erhöhten Kreuz liegt, an der sich die stürmische
Welle machtlos bricht. Aber keine Spur von
ausdringlicher Tendenz macht sich dabei bemerkbar,
und die Idee ist nur nahegelegt, nicht hinein
gelegt. Denn als Hauptvorzug des Bildes er
scheint auch hier wieder die Treue. Ist auch,
wie schon gesagt, der Gesammtcharakter der Land
schaft zunächst scheinbar kein italienischer, so ist
doch die Landschaft als solche offenbar durchaus
treu wiedergegeben und nicht etwa in der Art
des sonst Grimm nicht fernstehenden Ludwig
Richter, bei dessen italienischen Landschaften man
immer das Gefühl hat, als wären es eigentlich
nur verkleidete deutsche.
Aehnlich zart angedeutet ist der symbolisch
poetische Gedanke aus einer Radirung, die halb
Landschaft, halb Genrebild genannt werden kann.
In einer bergigen Gegend, am Rand eines Eichen
waldes, steht ein Mönch in sinnender Betrachtung
vor der riesigen Wurzel eines abgehauenen Baumes.
Ans einer nahen Anhöhe sieht man das Kloster.
Die Vergänglichkeit alles Irdischen, des Irdischen
selbst in einer seiner mächtigsten und dauerndsten
Erscheinungen, betrachtet von einem Menschen,
der sein Leben gänzlich abwenden will von diesem
Irdischen, ist hier in einer ebenso einfachen wie
ergreifenden Weise versinnbildlicht. Der Gegen
stand ist vom Maler wahrscheinlich selbst gesehen
worden. Grimm war mit einer Familie von
Haxthausen befreundet, die in Westfalen Güter
besaß, und von dort wird das schöne Blatt ver
muthlich herrühren. Die Wiedergabe des Baum
stumpfes ist ein Kunstwerk für sich. Blumen,
Pilze und allerlei anderes Gewächs haben sich
in diese Baumruine einlogirt, deren prachtvolle
Ueberreste von der stolzen Fülle des ehemaligen
Waldriesen wehmüthige Kunde geben. Grimm
hat sich mit seinen liebevollen Augen in diese
Wurzelwelt völlig eingelebt, in jedes Astloch
förmlich eingebohrt und zwingt somit den Be
schauer, auch an einem todten Stück Holz malerische
Reize zu entdecken.
Um sich für seine Anstellung an der Kasseler
Kunstakademie, wie es erforderlich schien, auch als
Maler zu legitimiren, entschloß sich Ludwig
Grimm zur Ausführung einer größeren historischen
Komposition, und es entstand auf diese Weise
die schon erwähnte Madonna mit Heiligen, von
seinen Gemälden das geschätzteste und erfolgreichste,
das auch auf mehreren Ausstellungen gewesen ist.
Ich weiß nicht, wo sich das Bild jetzt befindet,
und kenne es leider auch nur ans einer Radirung,
die aber von Grimm selber gearbeitet ist und
Komposition und Idee deutlich erkennen läßt.
Auch das Kolorit kann man unschwer wenigstens
errathen, da das Bild völlig im Charakter der
Nazarener gehalten ist, deren Farbengebung ja
fast ein für alle Mal dieselbe ist, hell, rein,
durchsichtig. Ich kann nicht sagen, daß ich eine
große Bedeutung in dem Werke zu erkennen
vermöchte. Die Anlage scheint mir etwas Ge
machtes, Konventionelles zu haben und die Aus
führung (immer hier mit Rücksicht aus den rein
künstlerischen Gehalt) der Kraft und Tiefe zu
entbehren. Unpoetisch wirkt aber auch diese
Schöpfung durchaus nicht. Es ist das, was der
Kunstausdruck eine „heilige Konversation" nennt
(santa conversazione). In einer Gebirgsland
schaft, die den Ausblick ans das Meer gewährt,
sitzt die Madonna mit dem Christkind aus einer-
natürlichen Nasenbank. Hinter ihr sieht man
den heiligen Josef, links (vom Beschauer) den
heiligen Georg mit dem erlegten Drachen, rechts
den heiligen Augustin. Bor der Jungfrau zu
beiden Seiten knieen zwei Engel mit sonderbar
nach vorn schleppenden Gewändern. Der eine
flicht aus einem neben' ihm wachsenden Rosen
busch die Dornenkrone, der andere trägt den
Kelch, ein Kreuz und einen Palmzweig. Das
Christkind schläft, und seine rechte Hand hält
eine Passionsblume. Was man wahrhaft schön
finden muß, ist der Ausdruck der Madonna.
Es liegt etwas unendlich Mädchenhaftes, Frommes
und Weltscheues namentlich in den Augen. Echt
wie Ludwig Grimm sind auch die zartvorwitzigen