Full text: Hessenland (15.1901)

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Meer und dem Gebirge mit der Stadt im 
Hintergrund sieht man nur nackte Kreidefelsen, 
hier und da spärliches Gras und auf dem höchsten 
Felsen ein schwarzes Holzkreuz, das sich malerisch 
gegen den schön gezeichneten Himmel abhebt. In 
biegen Felsen ist ein Muttergottesbild eingefügt, 
vor dem drei Frauen beten Eigenthümlich scharf 
sind an den Felsparthien die Licht- und Schatten 
wirkungen herausgehoben und in effektvollen 
Kontrast gesetzt zu den leicht spielenden Lichtern, 
die das weichwogende Wasser durchziehen. Ein 
zelne Segelboote beleben diese Einsamkeit. Das 
Blatt reizt immer wieder zur Betrachtung. Es 
ist .Styl und Charakter darin. Das einzig 
Störende sind die sehr hölzern ausgefallenen 
Frauengestalten mit ihrem römischen Kopsputz, 
der das Eckige ihrer Erscheinung noch vermehrt. 
Sie sind auch gewiß nur nachträglich und wie 
zufällig in das Bild hineingesetzt worden und 
ganz flüchtig gearbeitet. Am erstaunlichsten ist 
die Behandlung des Wassers, und Jeder, der 
einmal an einer italienischen Küste gestanden hat, 
muß die Wahrheit der Darstellung bewundern. 
Wie halbverschleiert erscheint über dem Ganzen 
die symbolische Idee, die in der Felsklippe mit 
dem erhöhten Kreuz liegt, an der sich die stürmische 
Welle machtlos bricht. Aber keine Spur von 
ausdringlicher Tendenz macht sich dabei bemerkbar, 
und die Idee ist nur nahegelegt, nicht hinein 
gelegt. Denn als Hauptvorzug des Bildes er 
scheint auch hier wieder die Treue. Ist auch, 
wie schon gesagt, der Gesammtcharakter der Land 
schaft zunächst scheinbar kein italienischer, so ist 
doch die Landschaft als solche offenbar durchaus 
treu wiedergegeben und nicht etwa in der Art 
des sonst Grimm nicht fernstehenden Ludwig 
Richter, bei dessen italienischen Landschaften man 
immer das Gefühl hat, als wären es eigentlich 
nur verkleidete deutsche. 
Aehnlich zart angedeutet ist der symbolisch 
poetische Gedanke aus einer Radirung, die halb 
Landschaft, halb Genrebild genannt werden kann. 
In einer bergigen Gegend, am Rand eines Eichen 
waldes, steht ein Mönch in sinnender Betrachtung 
vor der riesigen Wurzel eines abgehauenen Baumes. 
Ans einer nahen Anhöhe sieht man das Kloster. 
Die Vergänglichkeit alles Irdischen, des Irdischen 
selbst in einer seiner mächtigsten und dauerndsten 
Erscheinungen, betrachtet von einem Menschen, 
der sein Leben gänzlich abwenden will von diesem 
Irdischen, ist hier in einer ebenso einfachen wie 
ergreifenden Weise versinnbildlicht. Der Gegen 
stand ist vom Maler wahrscheinlich selbst gesehen 
worden. Grimm war mit einer Familie von 
Haxthausen befreundet, die in Westfalen Güter 
besaß, und von dort wird das schöne Blatt ver 
muthlich herrühren. Die Wiedergabe des Baum 
stumpfes ist ein Kunstwerk für sich. Blumen, 
Pilze und allerlei anderes Gewächs haben sich 
in diese Baumruine einlogirt, deren prachtvolle 
Ueberreste von der stolzen Fülle des ehemaligen 
Waldriesen wehmüthige Kunde geben. Grimm 
hat sich mit seinen liebevollen Augen in diese 
Wurzelwelt völlig eingelebt, in jedes Astloch 
förmlich eingebohrt und zwingt somit den Be 
schauer, auch an einem todten Stück Holz malerische 
Reize zu entdecken. 
Um sich für seine Anstellung an der Kasseler 
Kunstakademie, wie es erforderlich schien, auch als 
Maler zu legitimiren, entschloß sich Ludwig 
Grimm zur Ausführung einer größeren historischen 
Komposition, und es entstand auf diese Weise 
die schon erwähnte Madonna mit Heiligen, von 
seinen Gemälden das geschätzteste und erfolgreichste, 
das auch auf mehreren Ausstellungen gewesen ist. 
Ich weiß nicht, wo sich das Bild jetzt befindet, 
und kenne es leider auch nur ans einer Radirung, 
die aber von Grimm selber gearbeitet ist und 
Komposition und Idee deutlich erkennen läßt. 
Auch das Kolorit kann man unschwer wenigstens 
errathen, da das Bild völlig im Charakter der 
Nazarener gehalten ist, deren Farbengebung ja 
fast ein für alle Mal dieselbe ist, hell, rein, 
durchsichtig. Ich kann nicht sagen, daß ich eine 
große Bedeutung in dem Werke zu erkennen 
vermöchte. Die Anlage scheint mir etwas Ge 
machtes, Konventionelles zu haben und die Aus 
führung (immer hier mit Rücksicht aus den rein 
künstlerischen Gehalt) der Kraft und Tiefe zu 
entbehren. Unpoetisch wirkt aber auch diese 
Schöpfung durchaus nicht. Es ist das, was der 
Kunstausdruck eine „heilige Konversation" nennt 
(santa conversazione). In einer Gebirgsland 
schaft, die den Ausblick ans das Meer gewährt, 
sitzt die Madonna mit dem Christkind aus einer- 
natürlichen Nasenbank. Hinter ihr sieht man 
den heiligen Josef, links (vom Beschauer) den 
heiligen Georg mit dem erlegten Drachen, rechts 
den heiligen Augustin. Bor der Jungfrau zu 
beiden Seiten knieen zwei Engel mit sonderbar 
nach vorn schleppenden Gewändern. Der eine 
flicht aus einem neben' ihm wachsenden Rosen 
busch die Dornenkrone, der andere trägt den 
Kelch, ein Kreuz und einen Palmzweig. Das 
Christkind schläft, und seine rechte Hand hält 
eine Passionsblume. Was man wahrhaft schön 
finden muß, ist der Ausdruck der Madonna. 
Es liegt etwas unendlich Mädchenhaftes, Frommes 
und Weltscheues namentlich in den Augen. Echt 
wie Ludwig Grimm sind auch die zartvorwitzigen
	        
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