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Zur Geschichte der französischen Kolonie Frankensiain?)
Vortrag, gehalten bei der 200jährigen Jubelfeier von Helwig Schmitt.
78ls Ludwig XIV. am 23. Oktober 1685 das
Edikt von Nantes aufhob, waren die schutz-
und wehrlosen Hugenotten, die ihrem Glauben
treu bleiben wollten, gezwungen, die Flucht zu
ergreifen. Bei Nacht und Nebel, unter Zurück
lassung von Hab und Gut, nur mit dem
Allernothwendigsten versehen, suchte man zu
entkommen. Ueber ^ Million Flüchtlinge aus
dem südlichen Frankreich (aus der Languedoc,
Dauphino, den piemontesischen und savoyischen
Thälern), auch aus allen größeren Städten Frank
reichs langten in verschiedenen Zeitabschnitten in
der Schweiz, in.Deutschland, Holland und Eng
land an. Tie meisteil Flüchtlinge stanimten aus
gebildeten Stünden. In den Ländern, wo sie Auf
nahme suchten, wurden sie mit offenen Armen
empfangen, brachten sie doch Kultur, Gewerbfleiß,
Bildung, Gesittnng und Frömmigkeit mit. Tausende
fanden in Brandenburg wie auch in unserem
Hessenland und anderen evangelischen Staaten eine
neue Heimstätte. Als Aequivalerlt für erlittene
Unbill erhielten die Emigranten besondere Vor
rechte. Durch Erlaß des Landgrafen Karl'vom
18. April 1685 wurde allen fremden, nützlichen
Handwerkern unb Manufaktnristen reformirter
Religion, die in Hessen Aufnahme suchen wollten,
eine zehnjährige Freiheit von allen Lasten,
Schatzungen und Steuern, Kontributionen, Ein
quartierungen, Diensten und Wachten gewährt.
Es wurde ihnen freie Abgabe von Grund und
Boden zum Bauen zugesagt; ja der Landgraf über
nahm den Unterhalt eines französischen Predigers,
Vorlesers mtb Schulmeisters.
Seine Zusage hat der Landgraf redlich erfüllt.
Karl's väterliche Sorge, die er den Kolonisten
*) Einiges Wenige zur Geschichte dieser Kolonie findet
sich bereits bei Ledderhose: Beiträge zur Beschreibung
des Kirchenstaats der Hessen-Casselischen Lande (Kassel 1780),
bei Casparson: Geschichte der französischen Kolonie in
den fürstlich Hessen-Kassel'schen Landen (Kassel 1785), bei
Landau: Beschreibung des Kurfürstenthums Hessen (Kassel
1842), bei Rommel: Zur Geschichte der französischen
Kolonien in Hessen-Kassel (Kassel 1857), sowie bei K. F.
Köhler: Die Röfugioes und ihre Kolonien in Preußen
und Kurhessen (Gotha 1867).
zuwandte, trug dazu bei, daß Hessen und speciell
Kassel der Mittelpunkt der Einwanderung wurde.
Die Hauptepochen der Einwanderung waren:
1) Die Jahre 1685, 1686, 1687, wo außer
in Kassel mehrere Kolonien im Norden Hessens
angelegt wurden, wie Hofgeismar, Karlsdorf und
Mariendorf.
2) Die Zeit von 1698—1700. Nach dem ver
derblichen Ryswiker Frieden nahm Ludwig Rache
an den zurückgebliebenen Hugenotten, weil sie
angeblich mit seinen Feinden korrespondirten.
Zahlreiche neue Auswanderer flüchteten vorerst
ltstcf) der Schweiz und nahmen die dort schon
wohnenden Hugenotten mit nach Deutschland.
In Hessen wurden damals folgende Kolonien an
gelegt: Karlshasen, Schönberg, St. Ottilien, Ge
wissensruh, Gottstreu, Frankenhain, Gethsemane,
Friedrichsdorf, Todenhausen, Schwabendorf, Her
tingshausen, Wolfskaute, Louisendorf, Wiesenfeld u. a.
3) Das Jahr 1720, in welchem die zunächst
:n den lutherischen Ländern Deutschlands ver
bliebenen Hugenotten und Waldenser kamen, weil
die orthodoxen lutherischen Geistlichen Gefahr
für das lutherische Bekenntniß fürchteten durch
Duldung der Emigranten kalvinischer Richtung.
Im Jahre 1699 kamen auf Einladung des
Landgrafen Karl gegen 1000 Familien, die aus
dem Delphinat und anderen Bezirken sr. Zt.
in die Schweiz geflüchtet und dort 10 Jahre ge
blieben waren, nach Hessen, wovon etwa 100 in
der Stadt Treysa Unterkommen fanden. Es
waren meist Fabrikanten. Sie wurden im alten
Kloster untergebracht; doch kam die Kolonie in
der Stadt nicht zu Stande. Es blieben wohl
einige Familien daselbst hängen (Belison, Credo
u. s. w.), aber viele zogen den schon bestehenden
Kolonien zu, und etwa 24 Familien gründeten
die Kolonie Frankenhain. Den Namen ent
lehnte man von dem in der Nähe gelegenen,
längst verschwundenen Dorf Frankenhain.*) Ueber
*) Die Annahme, daß bereits früher ein Dorf Franken
hain in der Nähe bestanden habe, ist anzuzweifeln. Weder
bei Landau (Hist.-topographische Beschreibung der wüsten
Ortschaften im Kurfürstenthum Hessen) noch sonstwo findet