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ihnen gingen danach — ob für eigne Kosten oder
auf Kommando, weiß ich nicht mehr — nach
Marburg, stndirten dort noch innere Medizin und
machten ein Staatsexamen, wodurch sie dann für
den höheren Militärdienst berechtigt wurden. —
Hieraus berief sich nun 1866 G., sagte, er habe
diese Laufbahn einschlagen wollen — nebenbei
gesagt, war er als Kind wegen einer Schädel-
verletzung trepanirt und wäre nie zum Militär
genommen worden —, das sei ihm nun abgeschnitten,
er bäte deshalb, ihn die für die Aerzte vor
geschriebenen Examina machen zu lassen und ihn
überhaupt so zu behandeln, als ob er den Matnrus
gemacht habe. Er wurde ihm ohne Weiteres zu
gestanden.
Um diese Zeit — Anfang des Wintersemesters
1866/67 - kam wieder ein Apotheker, der Medizin
stndiren wollte. Ich weiß nicht, welche Vorbildung
in Knrhessen ein Apothekerlehrling haben mußte,
G. hatte wenigstens ein Gymnasium bis Obertertia
besucht, dieser aber — S. — hatte nun äußerst
mangelhafte Borkenntnisse. Er berief sich ans das
dem^G. gemachte Zugeständnis; — und auch ihm
wurde der Maturus erlassen.
Wenn ich nun von Dir, mein lieber Freund
Otto S., der Du nun auch schon zu den Ent
schlafenen gehörst, etwas Lustiges erzähle, so möge
es mir Tein Schatten verzeihen! Das will ich
hier vorweg nehmen, daß Du ein braver Kamerad
wärest, daß Tu die Dir anhaftenden Kenntniß-
mängel durch gewissenhaften, eisernen Fleiß aus
geglichen hast, daß Du bei deinen Lehrern in
höchster Achtung standest — ich erinnere an Tein
weit über die Universitätszeit bestehendes Frennd-
schastsverhältniß zu Professor D. —, daß Du zur
rechten Zeit gute Examina gemacht hast und ein
sehr geachteter Arzt gewesen bist.
S. war, als er nach Marburg kam, etwa 24 Jahre
alt Eine Schönheit war er gerade nicht, dazu
kam, daß er etwas jüdisch aussah — er war aber
guter Christ — und daß in seinen Augen immer
eine gewisse mißtrauische Spannung lag. Er sprach
immer etwas langsam und vorsichtig. Seine
Kenntnisse waren, wie schon gesagt, sehr mäßig,
und er selbst gab das auch zu, als er sich in meinem
kleinen Bekanntenkreis einführte dadurch, daß er
meinte, für einen Apotheker reiche sein Verstand
nicht aus, er habe deshalb beschlossen, Medizin zu
stndiren. Dies wollte er aber womöglich in zwei bis
drei Jahren bewerkstelligen und deshalb belegte er
in seinem ersten Semester auch Kollegs, die gar
nicht für ihn paßten, z. B. allgemeine Pathologie
und Therapie. Hieraus komme ich noch zurück.
Vom studentischen Leben hatte er blos ganz ver
worrene Begriffe.
Zu unserem Kreise gehörte damals außer dem
schon genannten G. noch ein alter Student F..
der schon ans mehreren Universitäten gewesen war
und auch eben nach Marburg gekommen war, um
sich für's Staatsexamen vorzubereiten. Diese beiden
nun machten sich ein Vergnügen daraus, S. die
tollsten Geschichten aufzubinden. So saßen wir
eines Morgens in der Anatomie beim Präpariren
und dachten an nichts Arges, als S. eine augen
blickliche Stille dazu benutzte, den Anatomiediener H.
allen Ernstes zu fragen, wann er seinen „Hühuer-
nnd Krähenangenknrs" anfange. H. gab eine etwas
grobe Antwort, worauf S. mit seiner langsamen
und etwas näselnden Stimme sagte: „Ich habe
nämlich gehört, daß Sie einen Hühner- und Krähen
angenknrs geben und den wollte ich gern mithalten."
Daß er damit allgemeine Freude erregte, braucht
nicht versichert zu werden.
Aber die viel größere Leistung war folgende:
Der größere Theil von uns, auch G. und F., hörte
beim alten ehrwürdigen Herrn Geheimrath von H.
von 2 — 8 Uhr spezielle und von 8—4 allgemeine
Pathologie und Therapie. In letzterem Kolleg
waren wir ganz unter uns, d. h. es hörte kein
anderer Mediziner weiter dasselbe mit. Dieses
hatte auch, wie ich schon sagte, S. belegt. Punkt
8 Uhr ging Herr von H. aus eine Viertelstunde
hinaus, uud eben so pünktlich trat S. an. Sowie
er erschien, legten wir Andern, die das Lachen
nicht gut verbeißen konnten, uns in die tiefen
Fensternischen des Kollegzimmers in der alten
Klinik links gleicher Erde, während G. und F.
mit S. am Tisch saßen. Die Viertelstunde, bis
von H. wiederkam, benutzten dann G. und F. sich
gegenseitig anzulügen, blos damit S. es hörte.
Sv entstand folgendes Gespräch:
G.: Sag' mal, F., hast Du Dich eigentlich schon
zum akademischen Pump- und Spritzenverein ge
meldet?
F. (sehr erstaunt): Pump- und Spritzenverein?
Davon habe ich in meinem Leben noch nichts gehört.
G. : Ist denn das aus anderen Universitäten nicht?
F. : In München, Erlangen, Tübingen und
Würzburg habe ich nie von so etwas gehört. Was
ist denn das für eine Einrichtung?
G. : Ja, weißt Tn, das ist noch eine Einrichtung
von Philipp dem Großmüthigen her. Es ist ja
nicht viel dabei zu thun, wenn man sich aber nicht
meldet, kostet es einen Thaler Strafe.
F. : Ja, was ist denn überhaupt dabei zu thun ?
G. : Ach das ist ganz einfach. Wenn's brennt,
müssen wir Alle helfen. Tie Theologen sind bei
der Rettungsniannschast und wir Mediziner sind
an der Spritze und am Schlauch angestellt. Ter
alte von H. ist ja Direktor davon.