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Beitrage zur Oeschichte -es Kasseler Cheaters
am Sn-e -es 18. Jahrhunderte.
I.
Als Gegenstück zu den sehr subjektiv gefärbten
Ausführungen eines anonymen Briefschreibers in
Boie's „Deutschem Museum" von 1784 über das
Kasseler Theater (vgl. „Hessenland", vorige Nummer
S. 157 ff.) dürfte es interessiren, das säst gleich
zeitige Urtheil eines Reisenden ans dem Jahre
1780 zu hören, das sich in einem anonym erschienenen
Buche „Briese eines Reisenden über den
g e g e n w artigen Zu st a n d v o n K a s s e l, m i t
aller Freyheit geschildert" (Frankfurt und
Leipzig 1781) findet. Verfasser des Werkes ist
nach MeuseUs „Lexikon Deutscher Schriftsteller"
(Leipzig 1804, IV. Bd., S. 460) Friedrich
Justinian von Günderode*) (geb. 1747 zu
Gießen, t 1785 als markgräsl. badischer Kammer
herr zu Karlsruhe), ein Verwandter der Karoline
von Günderode, dem wir außer Reisebeschreibungen
auch Dramen verdanken.
Tie Briese sind treue Auszüge seines Tagebuchs
während eines mehrmonatlichen Aufenthalts in
Kassel von Ende Januar 1780 an und enthalten,
im Allgemeinen das bekannte Schmincke'sche Werk
voraussetzend, interessante Angaben über die Stadt,
ihre Einrichtungen und Gebäude, über Hofhaltung,
Militär, Theater, Kunstsammlungen, Schulen n. s. w.
An Stilbegabung ist ihm offenbar der Briesschreiber
des Deutschen Museums über, seine Sprache ist oft
steif und nicht immer frei von grammatischen Ver
stößen. Immerhin haben seine Angaben, da sie
große Objektivität verrathen, als Zeugniß für die
damaligen Theaterverhältnisse hohen Werth für uns.
Zugleich haben wir die beste Gelegenheit zu ver
gleichen, inwieweit die Angaben des Briefschreibers
im „Deutschen Museum" von denen Günderodens
abweichen.
In dem elften Briese (S. 190 ff.) heißt es:
„Von der Musik, von denen Schauspielen, und über
haupt von denen öffentlichen Vergnügen eines solchen
Orts will man gemeiniglich auch gerne etwas
wissen; und ich werde Sie, mein Freund, um so
lieber davon unterhalten, da ich mich dabey der
vergnügten Stunden erinnere, die mir solche öfters
verschafft haben.
Ter Herr Landgraf, die Selbst Liebhaber und
Kenner der Tonkunst sind, auch öfters in Ihrem
*) Vgl. auch Strieder. V. Bd.. S. 174 Anmerk. — Tie
Angaben Brümmer's in seinem Tichterlerikon sind durchaus
konfus.
> Kabinet, aber niemals öffentlich auf der Violin,
und wie man sagt, recht gut spielen, halten eine
' vollständige und wohl eingerichtete Kapelle, wobei
in verschiedenen Instrumenten sehr geschickte Ton-
künstler gehört werden. Zur Violine sind Herr
Heuze, Rodewald und Braun der Jüngere Solo-
^ spieler, von welchen zwar keiner von der allerersten
Stärke ist, doch aber können sie mit allem Rechte
! unter die beyfallwürdigen Tvnküustler gerechnet
^ werden. An blasenden Instrumenten sind die Flaute,
! die Oboen und das Basson durch die Herrn Bahrd
; und Michele recht wohl und angenehm besetzt.
! Auch hört man einige gute Singstimmen; die
■ weiblichen sind Mlle. Saunier —ein schlankes,
: wohlgewachsenes blondes Mädchen, mit edlem An-
! stände — deren Stimme nicht sehr hoch geht, aber
> harmonisch ist. und von ihr selbst die meisten Reize
empfängt; Mad. Heuze hingegen hat eine starke
! und recht musikalische Stimme. Einige gute Manns
stimmen — und reinere, von Männern, die es im
wahren Verstände nicht mehr sind, werden daselbst
auch gehört. In dem Hofkonzert werden nur
Italienische Arien gesungen: und im Ganzen kann
man sagen, daß es eine dein Regenten und dessen
übrigen Einrichtungen völlig gemäße Hofkapelle ist.
Mit Schauspielen ist man auch dort reichlich
versehen und sind deren eigentlich viere — die große
Italienische Oper nebst dazugehörigen Ballets; die
Französische große Oper, Französische Kommödie, und
Französische Operette. Schauspielhäuser sind zwey,
nemlich das große Opernhaus in der Königsstraße
j zu den beiden großen Opern, und das Kommödien-
* haus an der Rennbahn, zur Kommödie und Operette.
Das Haus zur großen Oper ist würklich groß und
mittelmäßig schön; das Theater tief und breit genug,
! um die schönsten Dekorationen anzubringen. Die
^ innere Einteilung ist auch ganz gut; wegen denen
1 Bühnen hat man aber die Einrichtung gemacht, daß.
Fürstliche Personen ausgenommen, ohne besonderen
Befehl niemand von denen anwesenden Fremden
in die herrschaftliche Bühne kommen dürfen. Tie
erste an dieser zur rechten Seite ist vor fremde
Gesandten aufbehalten; und die nächste an dieser
ist vor die übrigen Fremden angewiesen. Die Herrn
Officiers haben ihre Plätze aus dem zum Sitzen
eingerichteten Parterre oder sogenannten Parquet;
die Herrn Adjutanden aber haben eine besondere
Bühne; und in die übrigen vertheilen sich die Dames
und Kavaliers; die nemliche Einrichtung ist in
dem Kommödienhans gemacht. Ter Eingang in