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Und nun soweit, nach Vorausschicknng einiger
allgemeinen Bestimmungen über die Gemeinde-
Borstände, in nicht weniger als fünfzig Artikeln
(mit der Sabbathsordnnng beginnend) alle zur
Regelung des häuslichen und wirtschaftlichen
Lebens des Einzelnen und der Familien, wie für
die Erfüllung der Unterthaneupflichten und für
die Uebung der bürgerlichen imd Genossenschasts-
Nechtc in einer Dorfgemeinde dienlichen Vorschriften.
Wir wollen versuchen, das Bild eines hessischen
Bauerndorfs zu zeichnen, wie wir uns dasselbe
als Schauplatz eines auf solche Art geregelten
Lebens vorzustellen haben, und gedenken an
einzelnen Beispielen zu zeigen, welche Zustände
der Gesetzgeber durch seine Fürsorge befestigen
oder begründen wollte.
Auf einer mäßigen Anhöhe erhebt sich eine in
einfachem gothischen Stil erbaute Kirche, deren
Mauern mit ihrem quadratisch aufsteigenden, mit
beschiefertem Helm und vier Eckthürmchen ab
schließenden Glockenthurm die Stürme des dreißig
jährigen Kriegs überdauert haben. Der ringsum
mit niedriger Mauer eingefriedigte Kirchhof dient,
wie zahlreiche alte Holzkreuze bekunden, als
Begräbuißplatz. An die Kirchhosmauer angelehnt
steht nach Osten das Pfarrhaus, nach Süden
das Küster- und Schulhaus. In müßiger Ent
fernung vom Kirchhof zieht die Landstraße vorüber,
au welche durch die alte Dorflinde gekennzeichnet
ein mit rohen Steinen eingefaßter runder Platz
sich anlegt, der als Berfammlungsplatz der Ge
meinde zu Berathungen und zur Anhörung von
Bekanntmachungen sowie als Tanzplatz bei den
herkömmlichen Kirmeßtäuzen dient.
Zu beiden Seiten der Landstraße und der zur
Kirche führenden Dorfwege liegen die Bauernhöfe.
Die Mehrzahl derselben ist von gleicher Größe
und Bauart, an zwei Seiten bebaute offene Vier
ecke bildend; der Straße gegenüber Wohnhaus
mit angebauter Scheune, rechtwinklig dazu ein
Stallgebüude mit davor liegender Miststätte. Die
Gleichartigkeit der Gebäude entspricht der Gleich
mäßigkeit des Besitzes, dessen Einheit die untheil-
bare Hufe in der Größe von 30 Kasseler Acker
bildet. Ein jedes Gebäude soll nach der Vorschrift
der Grebenordnung „nach des Bauenden Haus
halt, größer aber nicht verfertiget" werden. Um
Barlholz zu sparen, soll so viel nur thunlich und
zwar vornehmlich das unterste Stockwerk von
Steinen geballt werden. Jedenfalls müssen die
Grundschwellen am niedrigsten Ort 2 — 3 Schuh
hoch von der Erde gelegt und untermauert werden.
Ohne ausdrückliche Erlaubniß sind ans neue Ge
bäude keine Stroh-, sondern Ziegeldächer zu machen.
Nur einzelne Hofraitheu zeichnen sich durch
größere Zahl und Stattlichkeit der Gebäude aus,
der oben angeführten Vorschrift gemäß dem
Bedürfniß der Haushalte und Wirthschaften ihrer
Besitzer entsprechend, welche zwei oder drei Husen,
also 00 oder 90 Kasseler Acker bewirthschaften.
Hinter jedem Wohnhaus liegt ein Hausgarten,
dessen Obstbaumbestand durch die Bestimmung
gesichert erscheint, daß jeder neue Einzüger fünf
und jedes sich verheirathende junge Ehepaar vier
Obstbüume auf seinem eigenen Grund und Boden
anpflanzen nnb pflegen soll. In jedem einiger
maßen genügend Fläche haltenden Garten ist ein
Stück mit Klee oder anderem „Futterwerk" bestellt,
was zur Begünstigung der Stallfntterung und
um dem „so vielfältig geklagt werdenden Mangel
an der Hute" zu begegnen, mit besonderem Nach
druck vorgeschrieben wird.
Einer der Bauern führt eine Gast- und Schenk-
wirthschast, an der die dilrchfahrenden Fuhrleute
anhalten und wo die Bauern an Sonn- und
Festtagnachmittagen ihr Glas Bier trinken.
Niemals sollen eigentliche Trinkgelage geduldet
werden, der Wirth darf Abends nach 10 Uhr
keine Gäste mehr sitzen haben, „Söffer" sollen
den Beamten angezeigt werden und zur Verhütung
von Trinkfchulden wird bestimmt, daß kein Wirth
einem Bauern mehr als 16 Albus (ungefähr
— 1 Mk. 50 Pfg.) borgen darf, „oder er ver
liert die Schuld und wird noch dazu gestraft".
Da wo am Ende der einen Dorsstraße der
Gemeindeanger beginnt, steht auf diesem zunächst
Spritzenhaus, Hirtenhaus und Gemeindebackosen,
dann aber haben sich hier die wenigen Ködder oder
Beiwohner angesiedelt — namentlich ein Schmied
und ein Zimmermann — denen Theile des
Gemeindeangers als Bauplätze für ihre einfachen
Häuser überlassen worden sind. Am Gemeinde
anger entspringt eine Quelle, die zunächst in den
Feuerteich zu dessen ständiger Speisung geleitet
ist, dann aber nach Aufnahme mehrerer in dem
nahen Gemeindewald entsprungener Zuflüsse sich
als Bach durch den am Wald hinziehenden
Wiesengrund schlängelt, bald wasserreich genug,
um der am Ende des Wiesengrunds gelegenen
Mühle die nöthige Wasserkraft abzugeben. In
diese Mühle sind die Bewohner sämmtlicher im
Umkreis einer Meile gelegenen Wohnstätten als
Mahlgäste gebannt, dürfen also ihre Früchte
nirgends anders mahlen lassen. Dagegen ist der
Müller verpflichtet, die Früchte zu rechter Zeit
bei seinen Gästen abzulängen und ihnen das Mehl
und Geschrot wiederzubringen, dafür aber mehr
nicht als die hergebrachte Möller zu nehmen.
; folgt.)