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gebäude war; es schaute hinüber nach dem be
deutend tiefer als die Straße gelegenen Wasser
garten. Geflügelhof und Garten des Besitzers vom
„Römischen Kaiser" befanden sich gegenüber dem
Wedekamm'schen Hause und Garten, und letzterer
bildete wieder den Anfang des Rothenditmolder
Weges. Dann folgte in genanntem Wege, rechter
Hand, Gärtner Müller's Besitz, und weiter hin
stand das liebe kleine Haus der Räthin Henkel, von
großem Garten umgeben, an welchen eine Wiese
grenzte. Dieser und dem Henkel'schen Grund
stück gegenüber dehnte sich weites, freies Feld
aus, an dessen äußerster Grenze ein Theil des
Güterbahnhofes und der Schwarzenberg'sche Garten
herüberschauten und über dem allen der Karls
berg mit dem Herkules ans der Ferne grüßten!
Durch „grüne Wege", an langen Mauern her,
an „Oestreich's" schönem Garten und weniger
schönem Hanse vorbei, gelangte man nach dem
„Holländischen Thore". Das war ein stattlicher
Bau mit dreifachem Durchgang! Wie mancher
müde Erdenpilger fuhr unter dem hohen mittleren
Bogen hin zu ewiger Ruhe! Zur rechten Seite
des Thores zog sich ein Stück Stadtmauer bis
zu dem Wachthäuschen hin. Mauer und Thor
und Wachthäuschen mußten von dem Erdboden
verschwinden. Das alte Holländische Thor, dem
der Volkswitz (nach einigen Bränden, welche
ziemlich rasch nach einander in seiner Nähe aus
brachen) den Namen „Brandenburger Thor" ge
geben hatte, wurde aus Verkehrsrücksichten im
Jahre 1866 nach dem Kriege abgerissen. Heute
würde man vielleicht Mittel und Wege gefunden
haben, dieses Denkmal vergangener Zeiten zu
erhalten und doch denen, die seinen Abbruch so
dringend verlangten, in anderer Weise Hilfe ge
schafft haben. Noch steht mir der traurige An
blick vor Augen, als plötzlich mit Zuhilfenahme
von Soldaten das stattliche Thor in einen
Trümmerhaufen verwandelt wurde! — Sv war's,
so ist's, so wird es immer bleiben:
Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen! —
Mnmengrnss.
Mir geht» Liedchen? Saget'» an
Nöslrin mir, ihr rothen! —
Lla sie srldjt nicht kommen kann,
Schicht sie uns als Boten.
Both sind ihre Mangen noch,
Nöther noch ihr Möndchen,
Ilnd das seufzt: Hätt' ich ihn doch
Bei mir nnr ein Stündchen!
Kdiiard Sievcr».
Aus alter und neuer Beit.
Zur Geschichte von Knopf und Fahne
des Glockenthurm es der St. Marlins
kirche in Kassel. Im Sommer des Jahres
1824 bedurften nach Ausweis der Akten des
Archivs der Residenzstadt Kassel Knopf und
Fahne des Thurmes der Kasseler St. Martins
ki r ch e der Herstellung. Im abgenommenen Knopfe
fand sich bei Gelegenheit der zu diesem Zwecke
damals vorgenommenen Arbeiten eine hölzerne,
von Draht umzogene Kapsel mit einem noch heute
im Archiv aufbewahrten Pergamentblatte aus dem
Jahre 1613, welches über die Geschichte des
Glockenthurmes der St. Martinskirche und seines
Knopfes mit Fahne folgende Angaben enthält:
Als am 18. Tecembris amto 1612 durch den
großen Wind (welcher bei Menschen Gedenken
nicht grausamer gewesen und weit und breit die
Gebew beschädigt und theils umbgeworfen, auch
die Beume in den Wälden und Gürten in großer
Anzahl darnider gelegt) die Fahne mit der
eisern Spillen vom Freyheiter Glockenthurm, so
zusammen — 197 Pfund gewogen, in dem Mittage
zwischen 12 und 1 Uhren herabgewehet, so ist
am 9. Januarii anno 1613 der Knopf abgenom
men, damit man zu dem übrigen Stuck der eisern
Spillen kommen mögen, und ist in demselben
Knopf eine hölzerne getrehete Buchsen befunden
worden, darin ein Pergamentbries gelegen, daraus
geschrieben, wie folgt*):
*) Dieser Pergamentbrief ist nach heute im Besitz des
Vereins für hessische Geschichte und Landes
kunde vorhanden und der Redaktion dieser Zeitschrift
ebenso wie das hier wiedergegebene Aktenstück des Archivs,
gleichfalls Pergament, durch die Güte des Herrn Vor
sitzenden des Vereins, Bibliothekar an der Landesbibliothek
Dr. B r u n n e r, zugänglich gemacht worden.