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Umgegend auch im Rücken angegriffen wurde.
Die ganze Schaar mußte das Gewehr- strecken
und wurde im Triumph nach Hersfeld zurück
geführt. Die Aufständischen stürmten hierauf
das Rathhaus und bewaffneten sich mit den
Gewehren, die das früher in Hersfeld in Garnison
stehende hessische Bataillon hatte abliefern müssen.
Der verhängnißvollen Aufregung folgte gar
bald die Ernüchterung; man überdachte die Folgen,
die das thörichte Beginnen für die Stadt haben
mußte. Denn daß Napoleon, einem zahlreichen
Feinde fern an der Weichsel gegenüber, nicht
dulden würde, daß auch in seinem Rücken Feind
seligkeiten ausbrächen, zumal bei der nur schwachen
Besatzung Hessens, darüber konnte man keinen
Augenblick im Zweifel sein. Die städtischen Be
hörden, die dem Aufruhr rathlos gegenüber
gestanden hatten, kamen wieder zur Besinnung
und schickten die Bürgermeister Ge sing und
Morchutt in Begleitung des verwundeten franzö
sischen Kapitäns nach Kassel, um über den Borfall
persönlich zu berichten und nachtheilige Folgen
möglichst von der Stadt abzuwehren. Am Abend
des 25. Dezember langte die Deputation in Kassel
an und wurde noch um 10 Uhr von Lagrange
empfangen, der indes schon von einem aus Hersfeld
glücklich entkommenen Offizier (Lieutenant Jouy)
von dem Vorgefallenen unterrichtet worden war.
Der Stadt Hersseld wurde zunächst ausgegeben,
die italienische Kompagnie sicher nach Kassel zu
befördern; als sich die Ausführung dieser An
ordnung wegen der in der Gegend von Roten
burg und Homberg ausgebrochenen Insurrektion
unausführbar erwies, wurde die Truppe nach
Fulda gebracht und dort dem General Thiebault
übergeben. In Betreff der Amnestie für die Stadt
verhandelte Morchutt wochenlang in Kassel mit
dem Gouvernement, wobei er sich der kräftigen
Unterstützung der hessischen Minister von Waitz,
von Baumbach, von Schmerseld und des
Geheimraths von Heister erfreute; erst nach
vier Wochen erhielt er von letzterem mitten in der
Nacht die beruhigende Mittheilung, daß der
Gouverneur Hersfeld in die allgemeine Amnestie
eingeschlossen habe.*)
Mittlerweile war am 9. Januar 1807 General
Barbot mit einem sog. Exekutionskommando
in Hersfeld eingerückt; die Stadt hatte ihm ein
Geschenk von 1000 Karolinen zahlen müssen und
den Befehl erhalten, 5000 Paar Schuhe zu liefern,
der übrigen Requisitionen nicht zu gedenken.
Die einquartierten Truppen hatten an ihre
*) Von dem vierwöchigen Aufenthalte Morchutt's in
Kassel enthält das Kirchenbuch nichts; derselbe ist aber
sonst gut bezeugt.
Quartierwirthe hohe Forderungen, gestellt und
noch dazu die Gelegenheit benutzt, Kleidungsstücke
und dergl., ja, auch Geld zu erpressen. Die
Kosten dieser bis zmn 14. Januar dauernden Ein
quartierung durch Verpflegung und Requisitionen
wurden auf 30000 Thaler angeschlagen. Nachdem
das Haus*), aus dem am 24, Dezember der
verhängnißvolle Schuß gefallen, den Soldaten
zur Plünderung überlaffen und dann abgebrochen
worden war, war Barbot am 14. Januar ab-
marschirt, um auch in anderen Gegenden den
Aufruhr niederzuwerfen. Die von ihm verlangte
Auslieferung der Schuldigen war nicht inöglich
gewesen, da sich alle Theiluehmer rechtzeitig ent
fernt hatten.
Mit Barbot's Abzug athmete die Bürgerschaft
erleichtert auf. Als Garnison blieben nur gegen
4—500 Mann zurück, bestehend aus den früher
hier mißhandelten Italienern und zwei Köm-
pagnien badischer Jäger; Kommandant wurde
dchi badische Oberstlieutenant L i n g g, der durch
sein entgegenkommendes und liebenswürdiges
Wesen, durch sein der Stadt stets bewiesenes
Wohlwollen, durch seine Bemühungen, die Lasten
der unvermeidlichen Einquartierung möglichst zu
liüdern, durch die strenge Handhabung der Ordnung
und Zucht in dieser schweren Zeit die Bürgerschaft
sich zu aufrichtigem Danke verpflichtet hat.
Am 26. Januar kehrte Barbot von seinem
Streiszuge zurück und ließ während seines zwei
Tage dauerndeil Aufenthaltes einen früheren
hessischen Soldaten (Schüßler) aus Hersfeld, der
zwar an dem Aufruhr nicht theilgenommen hatte,
aber eine Flinte bei der Ablieferung der Waffen
verheimlicht haben sollte, standrechtlich erschießen.
Am 28. Januar schied der General von Hersfeld,
nachdem er dem Stiftsbeamten Hartert die
(der Bürgerschaft mitzutheilende) Versicherung
gegeben hatte, daß die Stadt, wenn sie ferner
ruhig bliebe, nichts weiter zu befürchten habe.
Die frühere Garnison unter Oberstlieutenant
Lingg blieb auch jetzt zurück.
Barbot's Versicherung und die Nachrichten, die
ungefähr zu gleicher Zeit Morchutt von dem
Gouvernement in Kassel mitgebracht hatte, konnten
nicht verfehlen auf die Bürgerschaft einen be
ruhigenden Eindruck zu machen; man glaubte
sich der nicht unberechtigten Hoffnung hingeben
zu dürfen, daß von der Stadt, wo die Ordnung
seit jenem verhängnißvollen Tage nicht mehr
gestört worden war, jede Gefahr abgewendet sei.
Um so größer war die Ueberraschung, als am
18. Februar Barbot unvermuthet zum dritten Male
*) Am Linggsplatz, Ecke der Webergasse.