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mußte, so lange er diensttauglich war, so konnte
später nur Ueberfluß an Rekruten sein, und man
hatte die Auswahl.
Kurhessen zeigte bis zum Jahre 1821, zum
Todestage des Kurfürsten, ein eigenthümliches
Bild. Aeußerlich konnte man den Menschen im
allgemeinen nicht ansehen, was sie bedrückte, sie
sahen aus wie Leute aus anderen Ländern, man
bemerkte so nicht, wie alles in der Regierung
einen Weg ging, den niemand begreifen konnte.
Da der Kurfürst 77 Jahre alt starb, so hatte
man auch schon einige Jahre früher Grund, auf
seinen Tod zu rechnen. Der kleine Krieg im
Lande gegen ihn hatte ziemlich aufgehört. Auch
im Offiziercorps war dies der Fall, nachdem
der Kurfürst die Gehalte der Subalternosfiziere
im Jahre 1817 um einige Thaler erhöht hatte,
weil diese sämmtlich, mit alleiniger Ausnahme
von dreien, den Abschied eingereicht hatten. Aber
die Armuth im Offiziercorps war arg. Reiche
Leute waren im Lande überhaupt selten, und
wer Vermögen hatte, bestimmte seine Kinder
nicht für das Militär. Der Adel war meist
arm, die wenigsten Familien hatten Grundbesitz,
und dieser warf sehr wenig ab. Zudem war
in der westfälischen Zeit ein großer Theil der
Subalternoffiziere aus dem Unteroffiziersstande
emporgerückt, da viele junge Leute ohne Ver
mögen, mit der Hoffnung, rasch zu avauciren,
eintraten. Jetzt heiratheten gar noch viele der
selben und ein großer Theil ging im Trinken
unter. Man verlor allmählich die Hoffnung,
sah den elendesten Zivildienst als Gewinn an,
ja, sogar ein tüchtiger Hauptmann der Landwehr,
der früher vom gemeinen Soldaten sich empor
gearbeitet hatte, jetzt aber ein geringes Warte
geld genoß, ging wieder auf sein kleines Ackergut,
legte die Uniform ab und zog mit den Ochsen
an den Acker. Ein anderer wurde Wirth bei
Bettenhauseu, und man konnte täglich hören wie
die Bauern riefen: „Herr Leutnant, ein halb
Kännchen!" Das Militär sah bald, im Dienste
wenigstens, aus wie zur Zeit des siebenjährigen
Krieges, und dabei erstaunlich ärmlich und
lumpig. Den Zopf trugen außer Dienst nur
wenige Offiziere, die Vorgesetzten sahen es nach.
Auf Urlaub gingen wenige, gewiß nur sehr selten
in's Ansland und dann gewiß nicht in Uniform.
(Schluß folgt.»
Prinz Wilhelm von Oranien und Landgraf Wilhelm IV. von Dessen.
Nach Aufzeichnungen des vormaligen kurhessischen Staatsarchivars Ludwig Keßler
von
Heinrich Keßler.
>ei dem Herannahen Alba's war Prinz
Wilhelm von Oranien bekanntlich nach
Deutschland entflohen, wo er sich im Früh
jahr 1568 auf die Kunde von der Vergeblichkeit
aller für seine bedrängten Glaubensgenossen unter
nommenen Vermittelungsversuche und entrüstet
über die Hinrichtung Egmont's und Horn's als
bald entschloß, gegen die Spanier zu Felde zu
ziehen. Weil er aber nicht im Stande war, die
für das angeworbene Söldnerheer erforderlichen
Geldmittel aus eigenem Vermögen aufzubringen,
so mußte er versuchen diese durch Anlehen und
fremde Unterstützungen zu beschaffen. Zu dem
Ende beabsichtigte er sich außer an mehrere ver
mögende Privatpersonen an die bedeutenderen
damaligen evangelischen Fürsten Deutschlands,
den Kurfürst Friedrich von der Pfalz, Kur
fürst August von Sachsen, Herzog Christoph
von Württemberg, Herzog Wilhelm von Sachsen-
Weimar, Herzog Julius von Brauuschweig-
Wolfenbüttel, Markgraf Hans von Brandenburg
und Landgraf Wilhelm IV. von Hessen,
zu wenden. Er glaubte bei ihnen Anklang mit
dem Gesuch nicht nur wegen der Sympathie zu
finden, die sie an die bedrängten niederländischen
Glaubensgenossen band, sondern hauptsächlich auch
wegen des realen Interesses, das sie augenfällig
an dem glücklichen Ausgang seines Unternehmens
haben mußten, ein Land wie die Niederlande
dauernd für die Sache des neuen Kirchenthums
zu gewinnen und der spanisch-katholischen Herr
schaft zu entreißen.
Bei Kurfürst August von Sachsen und Land
graf Wilhelm von Hessen zog der Prinz überdies
weiter die verwandtschaftlichen Verhältnisse in
Betracht, welche seit seiner Verheirathung mit
Anna, der einzigen Tochter des Kurfürsten
Moritz von Sachsen und dessen Gemahlin Agnes,