Full text: Hessenland (10.1896)

Friedrich Rückert in Hanau. Es war 
im Jahre 1812, als Hanaus damaliger Regent 
Karl von Dalberg, Fürstprimas des Rheinbundes 
und Großherzog von Frankfurt, im wohlverstandenen 
Interesse des höheren Schulwesens von Hanau die 
Vereinigung der beiden bis dahin dort bestehenden 
Gymnasien, des lutherischen und des reformirten. 
gewöhnlich Hohelandesschule genannten, beschloß. 
Zum Direktor des neuen Gymnasiums wurde 
Di-. Johannes Schulze, bis dahin Professor am 
Gymnasium zu Weimar ausersehen, der bekannte 
Pädagoge, welcher später in hervorragender 
Stellung im Kultusministerium zu Berlin als 
Organisator der höheren Schulen Preußens so 
Großes gewirkt hat. Zur weiteren Hebung der 
Anstalt wurde im November 1812 u. a. der frühere 
Privatdozent an der Universität Jena Dr. Friedrich 
Rückert als'Professor berufen, doch wurde die 
endgültige Verleihung der Stelle von einer 
Probezeit abhängig gemacht. Ende Dezember des 
Jahres traf Friedrich Rückert in Hanau ein, doch 
folgte er dem Rufe nur mit Unlust und in der 
Erwartung, daß die Sache sich noch zerschlagen 
würde. Aber haltlos, wie der junge, noch nicht 
26jährige Dichter damals war, änderte er nach 
seiner Ankunft in Hanau, sobald er die liebens 
würdige und bedeutende Persönlichkeit seines Direktors 
Schulze näher kennen gelernt hatte, seine Ent 
schlüsse wieder und beabsichtigte zu bleiben. Jedoch 
Enttäuschungen, die er bezüglich seiner dienst 
lichen und materiellen Stellung erfahren sollte, 
dazu noch der Einfluß der gewaltigen politischen 
Ereignisse, die sich gerade um die Zeit seines 
Eintreffens in Hanau in Deutschland vorbereiteten, 
führten einen erneuten Umschlag seiner Stimmung 
herbei und ließen bald den Boden, welchen er 
betreten, gleichsam unter seinen Füßen brennen. 
Noch vor dem 1. Februar 1813, dem Zeitpunkt 
der Eröffnung des neuen Gymnasiums, wahrscheinlich 
zwischen dem 21. und 25. Januar entfernte sich 
Rückert wieder aus der Stadt, ohne also seine 
Professur jemals wirklich angetreten zu haben. 
In den Januar 1813, welchen Friedrich Rückert 
erwiesener Maßen zum größten Theile in Hanau 
zubrachte, fällt vermuthlich der Beginn der „Ge 
harnischten Sonette", jenes Zyklus von 
patriotischen Gedichten, welche Rückert's Ruhm 
begründeten. Die Ansicht, daß die Gedanken einer 
Anzahl dieser Gedichte zu Rückerts kurzem Aufenthalt 
im Dienste des Rheinbundsfürsten, zu seinem Ver 
weilen in dem geknechteten und doch so patriotischen 
Hanau in allernächster Beziehung stehen, wird man 
keine zu gewagte nennen dürfen. (AlbertDuncker, 
Friedrich Rückert als Professor am Gymnasium zu 
Hanau und sein Direktor Johannes Schulze. Ein 
Beitrag zur Rückert-Biographie. 2. vollständig 
umgearbeitete Ausl. Wiesbaden 1880. S. 44.) 
Die Verlegenheit, in welche Riickert seinen Vor 
gesetzten durch seine Flucht versetzte, suchte er durch 
zwei Reisesonette zu entschuldigen, welche Schulze 
unverzüglich benutzte, um den Großherzog Karl 
von Dalberg für den Flüchtling freundlich zu 
stiinmen und jeden Nachtheil von ihm abzuwehren. 
Nach dem Vorausgeschickten werden wir nur 
freudig davon berührt sein können, daß der 
Hanauer Geschichtsverein, wie aus Hanau berichtet 
wird, den Entschluß gefaßt hat, die längst in 
Aussicht gestellte Gedächtnißtasel an dem 
kleinen Eckhause des Paradeplatzes, Rosengasse 27, 
in welchem Rückert dereinst in Hanau wohnte, nunmehr 
anbringen zu lassen. Das Häuschen, welches bedeutende 
bauliche Veränderungen erlitten hat, steht merk 
würdiger Weise unmittelbar neben dem Hause, wo 
wenige Jahrzehnte vor Rückert's Aufenthalt in 
Hanau, zwei andere gewaltige Meister der deutschen 
Sprache, die Brüder Jakob und Wilhelm 
Grimm, das Licht der Welt erblickt haben. 
Eine wahre Geschichte, deren tragischer 
Abschluß sich in deni Tannenwäldchen bei Kassel 
abspielte, bildet den Inhalt dieser Zeilen. Das 
Tannenwäldchen ist eine langgestreckte, gern be 
suchte, von herrlichen Baumschlägen gebildete 
Promenade zwischen der Main-Weserbahn und der 
Kirchditmolder Landstraße. In diesem Wäldchen 
hörte der Förster des nahen Dorfes Kirchditmold 
an einem Frühlingsmorgen des Jahres 1812 einen 
Schuß fallen. Wilderer vermuthend, eilte er der 
Gegend, in welcher der Schuß gefallen war, zu 
und fand unsern einer stattlichen Buche einen 
Kavallerie-Offizier, der sich in seinen Säbel gestürzt 
hatte und — in den gräßlichsten Schmerzen sich 
windend — ihn bat, er möge ihm doch eine Kugel 
durch den Kopf jagen. In demselben Augenblick 
aber gewahrte der Forstmann auch weiter ein 
junges, kaum den Knabenjahren entwachsenes Herr 
chen, regungslos an den Stamm der Buche, halb 
sitzend, halb liegend, angelehnt, dem links aus der 
Brust das helle Herzblut über das feine Kollet 
rieselte. In der starren Rechte hielt es eine Reiter 
pistole, und eine andere lag neben ihm im Waldgrase. 
Der Förster ließ daher den Offizier und wandte 
sich jenem zu. ob hier vielleicht noch Rettung 
möglich wäre. Wie erstaunte er aber, als er die 
Knöpfe am Kollet des jungen Mannes lockerte und 
sich daraus die Fülle eines jungen Mädchenbusens 
zwängte. Damit war ihm Vieles klar. — Sofort 
traf er Anordnung zur Wegschaffung des Offiziers 
nach Kassel in die Charitö und der Todten nach 
Kirchditmold, zu dessen Gemarkung der Thatort gehörte.
	        
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