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dieser Erlaubniß ungesäumt Gebrauch, entledigte
mich meiner Fußbekleidung und legte mich auf
die Decke des Bettes der alten Frau, woselbst ich
die Nacht in ruhigem Schlaf verbrachte.
, Die Gunst der Wirthsmutter hatte ich mir
aber offenbar dadurch erworben, daß ich mich
zuweilen in der Küche bei sie an den Herd setzte,
wo sie, ein kurzes Pfeifchen schmauchend, ein buntes
Tuch um den Kopf, auf einem Schemel zusammen
gekauert verweilte und mir aus ihren Jugend
erlebnissen Manches erzählte, was ich zu ihrer
sichtbaren Befriedigung, die Friedenspfeife mit
ihr rauchend, ruhig und beifällig anhörte. Es
war eine kluge alte Frau, diese Frau Schmitt,
mit lebhaften Augen und einem stark hervortreten
den Bart über dem großen Munde. Es läßt sich
denken, daß ich am Morgen nach dieser Nacht,
als meine Schlafstelle bekannt wurde, nicht wenig
voir den Witzeleien und Spottreden meiner Be
kannten zu leiden hatte. Aber „honny soit, qui
mal y pense“ antwortete ich. Jedenfalls hatte ich
aber ein besseres Nachtlager gefunden, als die
jenigen meiner Genossen, welche auf Frucht- oder
Heuhaufen der „safranfarbigen, rosenfingerigen
Eos" entgegengeschlummert hatten. Es wäre
mir ja ein Leichtes gewesen, der geschilderten
unangenehmen Lage zu entgehen, wenn ich das
freundliche Anerbieten des Anitmanns Frank
aus Schackau, zu dem ich in verwandtschaftlicher
Beziehung stand, in seiner Wohnung die Nacht
zuzubringen, angenommen hätte. Aber die Gesell
schaft lieber Freunde war ja so anregend, daß
ich mich nicht entschließen konnte, aus deren Kreis
schon früher zu scheiden und mit Herrn Amtmann
Frank nach Schackau zu gehen. Nun, ich tröstete
mich am Morgen mit dem Spruch: „Wer will
haben ein Genieß, muß auch dulden den Ver
drieß."
Im Laufe des auf diese Nacht folgenden Tages
kam unser lieber Bekannter, der gräflich Froh-
berg'sche Oberförster Reis aus Schackau, den
auch schon längst der grüne Rasen deckt, in unsere
Gesellschaft von Gersfeld zurück, woselbst er bei
seinem Herren Geschäftliches zu erledigen gehabt
hatte, und überbrachte uns eine Einladung des
Grafen zu einem anr anderen Abend stattfinden
den Tanzvergnügen. Die Mehrzahl von uns war
aber nicht im Stande, dieser Einladung Folge zu
leisten, weil deren Garderobe, namentlich die durch
das viele Tanzen schadhaft gewordene Fuß
bekleidung sich nicht in einer Verfassung befand,
daß deren Besitzer in so vornehmer Gesellschaft
sich hätten vorstellen können. Nur vier von uns
erklärten sich bereit, der Einladung Folge zu
eisten. Es wurde also den anderen Morgen von
Kleinsassen aufgebrochen, um unter Führung des
Freundes Reis über Weyhers nach dein 3 '/2
Stunden entfernten Gersfeld zu ziehen lind dort
dem Grafen unsern Besuch abzustatten.
Als wir nach Weyhers kamen, woselbst der als
strenger Herr bekannte Landrichter König seinen
Gerichtssitz hatte, stellte uns auf der Straße ein
königlicher Brigadier und verlangte von uns als
Ausländern unsern „Vorweis" (Reisepaß). Wir
Studenten waren bereits vor unserer Abreise nach
Bayern vor der dortigen Paßplackerei gewarnt
worden, hatten deshalb unsere in lateinischer
Sprache abgefaßten Universitätsmatrikeln mit
genommen, uin uns nöthigenfalls answeisen zu
können, wer wir seien. Diese zeigten wir nun
auch dem der lateinischen Sprache unkundigen
Wächter des Gesetzes vor, welcher sich mit den
zutreffenden Namen unserer Person und dem
großen Siegel begnügte und uns die Urkunden,
deren Siegel er salutirte, als genügend zurück
gab, Oberförster Reis wurde als bayerischer
Staatsangehöriger ohnehin nicht beanstandet.
Aber nicht so der Thierarzt G. L. aus Fulda,
der sich, auf dem Rückweg von Kleinsasscn dahin
begriffen, in unserer Gesellschaft befand und keinen
„Vorweis" bei sich führte. Er wurde, trotzdem
daß wir für ihn eintraten, für verhaftet erklärt
und in das Landgerichtsgefängniß abgeführt,
während wir Andern uns in das Gasthaus zum
Frühschoppen begaben. Während wir dort über
Mittel und Wege beriethen, die geeignet wären,
den Reisegefährten aus seiner Gefangenschaft zu
befreien, trat der gestrenge Herr Landrichter, von
allen ehrfurchtsvoll begrüßt, in das Gastzimmer,
setzte sich an unsern Tisch und bestellte sich „eine
Holwe". Wir stellten ihm uns vor, und die
Unterhaltung war bald im Gange. Da wurde
denn des Arrestaten gedacht und der Landrichter
gebeten, denselben, der doch nur wegen Ueber-
tretung der Paßordnung verhaftet worden und
dessen Pekson uns allen bekannt sei, zu ent
lassen. Da lächelte derselbe aber höhnisch und
sagte: „Ja wenn's das allein wäre, dann hätte
ich dem Thierarzt schon wieder die Freiheit ge
geben, aber, denken Sie sich, der Mensch hat in
seiner Brieftasche auch noch Galanteriewaaren bei
sich geführt und dafür muß so ein Galanterie-
händerln vierundzwanzig Stunden brummen unter
Wegnahme der Waare." Wir konnten uns nicht
enthalten, herzhaft zu lachen und das Verfahren
gegen G. L. zu billigen. „Nun lassen Sie uns
eine trinken", forderte uns der Landrichter auf.
Das wurde auch getreulich befolgt ltitb eine an
genehme Stunde in Weyhers verbracht. Als wir
uns zum bereiteten Mittagessen eben niedersetzen