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Wolf'schen Häuser stehen, lag der Abendvereins
garten. Waldbäuine und schlanke Pappeln
hoben ihre Kronen hoch über die Umsriedigung
empor; wie paßte ihre Rauschen so gut in die
stille Straße! Sie schauten hinüber nach den
Bäumen des Theatergartens den eine stolze Mauer
nach der Straße abschloß. —
Der Abendvereinsgarten endete mit einer
Terrasse, aus welcher Hanusch's Saalbau
dicht angelehnt an ein Haus stand, das ver
schiedenen geschlossenen Gesellschaften nach einander
seine Räume verpachtet hatte. Die Gesellschaft
„Oetker", dann „Abendverein", „Lese
museum" und schließlich „Abendunterhaltung"
haben hier getagt; von dem schönen Garten ist
heute auch nicht mehr viel vorhanden.
Es ist kein Leichtes, sich den stattlichen Bau:
Landeskreditkasse, die Häuser des ver
längerten Ständeplatzes, das Kunsthaus, alle
die stolzen Gebäude der Straßen in der Richtung
nach Wilhelmshöhe hinweg zu denken und
dafür die früheren Zustände jener Gegend wieder
vor die geistigen Augen zu zaubern! — Der
Grund und Boden, auf welchem sich die Landes
kreditkasse erhebt, war ehedem ein großer, schöner
Obstgarten, der zu Anfang der 40 er Jahren der
Familie M e i st e r l i n g gehörte, dann Henkels
und zum Schlüsse Sallmann's Garten wurde.
Seine Hecke links und die Mauer an der Garde
du Corps-Kaserne entlang waren die beiden Seiten
eines schmalen Weges der in die „alte Allee"
mündete, gegenüber den neuen Wolf'schen Häusern,
während seine rechtsgelegene Abgrenzung den
Karthäuser Weg bilden half. Vor dem ge
nannten Garten und den Wegen breitete sich eine
große grüne Fläche aus, von der Garde du Corps-
Kaserne fast bis an das Grundstück des Handschuh
fabrikanten Grebe, und dieser, sonst so stille
Platz war zur Zeit der Messen vom regsten
Leben und Treiben überfluthet; denn hier waren
die Buden aufgeschlagen mit den Sehenswürdig
keiten aus „aller Herrn Länder", und die Be
wohner der umliegenden Häuser in damaliger
Zeit haben sicherlich jenen Meßtagen mit ihren un
vergleichlichen Harmoniken ein Gedenken bewahrt?
— Während genannter Tage spielte eine stadt
bekannte Persönlichkeit in dieser Budenkolonie ihre
Rolle; mehr noch wie es schon im gewönlichen Laufe
der Tage herkömmlich war. Ich meine den Kasseler
Schweinehirten Wilhelm Schinken.
Wo auch im Straßenleben Kassels irgend
etwas Besonderes sich ereignete, konnte man sicher
sein, diesem merkwürdigen Individuum zu begegnen,
sei es: an Markttagen auf dem Königsplatz oder
Brink, bei Streitigkeiten der Straßenjugend, oder
während der Messe —, immer wußte sich Wilhelm
Schinken geltend zu machen. Seinen ureigentlichen
Berufe nach war er Kohlen- und Schneeschüpper. —
Einmal zu Ansang der fünfziger Jahre sollte
von Hanusch's Garten aus ein Luftballon auf
steigen. Bis nun der Ballon zu seiner Reise
vorbereitet war, hielten einige Männern ihn an
starken Stricken fest. Plötzlich erhob sich das
Luftschiff hoch empor, und ein erschrecktes Rufen
ertönte. An einem der Stricke, die an der Gondel
herabhingen, klammerte ein Mann, der jedenfalls
nicht zur rechten Zeit das Seil losgelassen hatte
und nun in schrecklicher Lage zwischen Himmel
und Erde schwebte. Der Ballon streift zum
Glück nun das Dach des v. Waitz'schen Hauses,
und konnte sich dadurch der unfreiwillige Luft
segler retten. Bald nachher erschien er wohl-
gemuth unter der erschreckten Menge, und Wei
mar es? — Wilhelm Schinken!
Ein andermal hatte ein Meßbudenbesitzer mit
tönenden Phrasen das Hauptstück seiner Sehens
würdigkeiten angekündigt in „Himgrio, dem wilden
Aschanti" und hob hervor, daß dieser Wilde Vör
den Augen des Publikums lebendige Tauben verzeh
ren würde. Aber dieses wunderbare Schauspiel fand
bald darin seinen Abschluß, daß man irr „Hun-
grio" den allbekannten Wilhelm Schinken ertappte.
Als in den fünfziger Jahren die sogenannten
Amazonenhüte bei den Damen Mode wurderr
und man verschiedentlich diese mit dem Argwohn
betrachtete, als wären sie die erste Staffel zur
„Frauenfrage in Kassel", sollte durch Verhöhnung
dieser Mode eine Grube gegraben werden. Man
hatte bei einer der ersten Putzmacherinnen in
Kassel einen eleganten Amazonenhut bestellt, den
Wilhelm Schinken leicht dazu gewonnen, sich mit
diesenr zarten Kunstwerk zu schmücken und dann
langsamen Schrittes die Königsstraße hinauf und
hinab zu wandeln. Große Heiterkeit war natür
lich der einzige Erfolg dieser Modeverspottung!
Während eines „Krieges" zwischen Kasseler und
Rothenditmolder Jungen spielte Wilhelm Schinken
den tapferen Anführer der ersteren, eine That
sache, an die sich noch mancher alte Kasselaner
mit Freuden erinnert. —
Lieber Königsplatz, du gefielst mir besser,
bevor die Trambahn eiserne Runen in dein
heiteres Antlitz grub; entsinnst du dich noch
deines Hallengebäudes unb wie es die Haupt
wache der Bürgergarde war?
Vor der Trambahnzeit erfüllte der Königsplatz
als Kinderstube, Marktplatz und Aufstellungsplatz
der „Echolocker" seinen Beruf.