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Sehenswürdigkeiten der Kasseler Messer: im vorigen
Jahrhundert.
Mitgetheilt von Dr. Hugo Brunner.
in glücklicher Zufall hat uns eine Reihe
\ gedruckter Ankündigungen von allerlei
Sehenswürdigkeiten erhalten, die in der
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in der
Stadt Kassel dem Publikum gezeigt wurden.
Die Zettel, auf besserem Papier gedruckt, als die
heute üblichen Reklamen, — denn ohne diesen
Umstand würden sie selbst bei sorgfältigster Auf
bewahrung nicht zu retten gewesen sein, — tauchten
bei dem fortschreitenden Gange der Neukatalogisirung
der ständischen Landesbibliothek zu Kassel aus
ihrer Vergessenheit auf und werden fortab der
Nachwelt sorgfältiger aufgehoben werden, als dies
bisher der Fall war.
Die Ankündigungen reden, trotzdem daß nicht
viel mehr als ein Jahrhundert seit ihrer Aus
gabe verflossen ist, bereits eine uns seltsam und
vielfach komisch berührende Sprache. Der in
behaglicher Breite erzählende Ton, in dem sie
gehalten sind, zeugt noch von jener Gemüthlichkeit
des Lebens, die unserer hastenden Zeit abhanden
gekommen ist. — Aber auch sonst sind die Sehens
würdigkeiten, welche darin angekündigt werden,
von kulturhistorischem Interesse. Die damalige
Menschheit, noch wenig durch Reisen verwöhnt, war
schaulustiger als wir; die Sehenswürdigkeiten
drängten sich noch nicht in die Metropolen zu
sammen, um hier soviel auf einmal zu bieten, daß
es dem Beschauer meist ganz unmöglich ist, in's
Einzelne zu gehen, ja daß er nach dem Verlassen
einer solchen Sammlung von Merkwürdigkeiten
gewöhnlich kaum noch weiß, was er gesehen hat.
Andererseits werden bei Messen und Märkten,
die früher bekanntlich auch hier in Kassel von
jenem „fahrenden Volke" viel besucht wurden,
das aus die Schaulust der Menge spekulirte,
heutzutage jene Sehenswürdigkeiten, um die es
sich im Nachfolgenden handelt, nicht mehr ge
duldet, vielfach gewiß mit Recht; doch ist ein
Stück alter Romantik damit weniger vorhanden,
und so mag die Mittheilung nachstehender An
kündigungen oder „Avertissements“ mit dazu
beitragen, das Bild und die Geschichte der einst
volkreichen, jetzt so heruntergekommenen Kasseler-
Messen und Märkte vervollständigen zu helfen.
Avertissement.
In dieser Stadt ist angekommen Bernardo Gilli,
ein Riese von Italienischer Nation, sein Alter ist
26 Jahr, seine Höhe 4 Ehlen und 6 Zoll, nach
seiner Grösse sehr wohl gestaltet. Auf allen seinen
Reisen hat er keinen angetroffen, der ihm in seiner
Grösse gleich komme:: können. In seinem nennten
Jahre hat er die gewöhnliche Grösse gehabt, wie
andere Kinder von diesem Alter. In seinem
25 jährigen Alter hat er ausgehört zu wachsen.
Seine ganze Familie ist von ordinairer Gestalt.
Auf seinen Reisen hat er die Ehre gehabt, vor
19 gekrönte Häupter sich sehen zu lassen, als:
1) der König von Sardinien; 2) der König von
Frankreich; 3) der Stadthalter von Holland;
4) der König von Großbrittannien; 5) und 6) die
Könige Ferdinand und Carl von Spanien; 7) der
König von Portugal; 8) der Herzog von Parma;
9) der Pabst Clemens der XIII.; 10) der König
von Sicilien; 11) der Kurfürst von Bayern:
12) der Römische Kayser und Kayserin; 13) der
Churfürst von Sachsen; 14) der König von Preussen;
15) der König von Pohlen; 16) die Rusische
Kayserin; 17) der König von Schweden; 18) Jhro
Majestät der König von Dännemark; 19) Jhro
Hochsürstl. Durchl. der Herzog von Braunschweig.
An seiner Höhe, Kraft und Proportion findet man
seines Gleichen in der ganzen Welt nicht.
Er verkauft sein Portrait, in Kupfer gestochen,
wo seine ganze Familie zu sehen ist.
Er ist zu sehen von 10 Uhr des Morgens bis
1 Uhr des Nachmittags, und von 3 bis 7 Uhr
des Abends. Jede Person bezahlet 3 Ggr. Die
vornehmen Herren bezahlen nach ihrer
Generositaet.
Er logiret im Schwarzen Adler aus der Ober-
neustadt.
Anm. [mit Tinte geschrieben): War in Cassel auf der
Ostermesse 1766; gesehen d. 13. März.
Avertissement.
Es dienet dem Publico zur Nachricht, daß bei
Franz, Viard drey Mathematische neu erfundene
Figuren zu sehen sind, welche aus ersten Befehl
folgende Kunst-Stücke verüben:
Die erste Figur praesentiret einen Kaufmann,
der bringet aus Erfordern: hervor, erstlich Thee,
zum andern Coffee, drittens Zucker, viertens Zimmet,
sünfftens Nelcken, und sechstens Muscaten-Nüsse.
Die andere Figur zeiget eine Baner-Magd, mit
einer Taube aus dem Kopfe, ein Glas in der