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dieses Tages hatte sich der akademische Senat ver
sammelt, um nach der im Juli desselben Jahres
erfolgten Auflösung des kurhessischen Landtages den
neuen Vertreter der Universität an demselben zu
wählen. Die Wahl fiel abermals auf den bewährten
seitherigen Abgeordneten, auf Silvester Jordan. Die
Nachricht hiervon durchlief und elektrisirte, wie es in
dem Bericht heißt, Abends noch die ganze Stadt,
des andern Tages die ganze Umgegend, und in ganz
Deutschland wurde sie mit Jubel aufgenommen.
Doch die Feierlichkeiten, welche diese Wahl in Mar
burg selbst im Gefolge hatten, bildeten nur das
Vorfest. »Noch war Jordan selbstso heißt es in
dem Bericht »nicht in unsere Mauern zurückgekehrt,
er weilte noch im Kreise der Freunde und Ver
wandten, Erholung seiner Gesundheit bedürfend und
schöpfend. Aber er war bereits uns nahe — der
13. schon sollte ihn uns wiedergeben. Man durfte
erst gegen Abend die Ankunft des hochverehrten De-
putirten erwarten —, allein die eifrigsten seiner Ver
ehrer konnten das nicht erwarten, in festlicher
Kleidung waren sie ihm gleich nach Tisch bis zur
nächsten Post entgegengeritten und gefahren, in deren
Nähe ihn noch die Schulzen des Amts und eine
Abordnung der Stadt Wetter erwarteten.
Schon gegen 3 Uhr Nachmittags bemerkte man
in allen Straßen Marburgs festlich gekleidete Menschen,
— das Volk verließ seine Arbeitszimmer und wallte
dem Elisabcthenthore zu. Um 4 Uhr entfaltete sich
eine Fahne (weiß) aus dem Rathhause, und hinter
ihr sah man einen Zug schwarzgekleideter Bürger
einherschreiten, und eine Fahne (blau) und wieder
Bürger und abermals eine Fahne (roth) und wieder
Bürger, alle in langem feierlichen Zuge, ihre
Magistratspersonen in der Mitte, über den Markt
platz hin dem Thore zuschreitend. Diese alten schönen
Stadtfahnen, getragen an blau-weißen Florgehängen
von den Söhnen angesehener Bürger, hatten seit
einem halben Menschenalter, seit Wilhelm's I. Rück
kehr in das alte Stammland, nicht wieder in Gottes
freier Luft geflattert; aber heute sahen sie wieder
das Tageslicht, und man sah auch sie mit Rührung;
so selten ist die Gelegenheit zu wahren Herzens
freuden! Nächst dem Thore, im Gasthofe »zum
blauen Löwen", hatte bereits eine Anzahl von fast
200 weiß und blau gekleideten'Jungfrauen der Stadt
sich versammelt, um dem Erwarteten einen Lorbeer
kranz und ein Gedicht zu überreichen. Vor dem
Thore, auf der Brücke gegen Kassel zu, erhob sich
eine Ehrenpforte, aus sechs hinter und neben ein
ander stehenden hohen Bäumen errichtet, welche
grüne Eichenguirlanden verbunden durchkreuzten und
auf den Gefeierten sich gleich Kränzen herabzulassen
schienen. Hier wogte und harrte die Menge beson
ders seit 5 Uhr der Ankunft des Erwarteten ent
gegen. Endlich nach 6 Uhr entstand jene frohe
murmelnde Bewegung in der Masse, welche dem
entscheidenden Momente vorauszugehen pflegt; ein
unabsehbarer Zug von Reitern und Wagen trabte
und rollte heran; da ward es plötzlich stille undder
erste Zug ist's — ries's in den Zügen der Reiter.
Schon war er da, dieser Wagen, und hielt auf die
dem Kutscher gegebenen Winke unter der Ehren
pforte still; wie von einem sympathischen Gefühle
beseelt, entblößte die ganze unzählbare Menge plötzlich
und zugleich das Haupt und brach in'ein stürmisches
unaufhörliches Hoch aus. Nachdem sich der Sturm
ein wenig gelegt hatte, beugte sich der Gefeierte aus
dem Wagen und sprach rührende Worte des Dankes
und der Freude des Wiedersehens. Jetzt trat der
Magistrat heran und bat ihn, sich in seine und der
Bürger Mitte zu begeben. Vor dem Wagen, an
einem etwas freier gehaltenen Platze, kreuzten sich
die drei Fahnen, und zwischen ihnen, wie unter einem
Obdach stehend, hielt der Vizebürgermeister, Herr
Ulrich, folgende Anrede an den Zurückgekehrten:
»Hochverehrter Mann! Wir begrüßen Sie
als einen ausgezeichneten Volksvertreter, der unsere
verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten mit
unerschütterlichem Muthe und mit der Freimüthig
keit, w'e sie dem deutschen Manne geziemt, auf
den beiden Landtagen vertheidigt hat. Das Vater
land ist Ihnen für dieses kräftige Benehmen
seine Huldigungen schuldig und bringt sie Ihnen
mit Liebe und Freude. Marburg hat es über
nommen, Ihnen für ganz Kurhessen den wohl
verdienten Dank zu sagen. Einfach und prunklos,
wie Sie sehen, ist unser Empfang, aber hoch und
glühend schlagen Ihnen unsere Herzen entgegen
und mit den Gefühlen, die diesen entströmen,
heiße ich Sie im Namen aller Marburger herzlich
willkommen! Nehmen Sie noch, hochverehrter
Mann! einige Zeichen der Liebe und Hochachtung
aus den Händen unserer Jungfrauen an!*
Hierauf nahten sich zwei Jungfrauen und über
reichten ihm einen Lorbeerkranz und ein Gedicht,
das die Gefühle des Dankes dem alten und die
Erwartung der Zukunft dem neuen Vertreter aus
sprach. “
Der Chor:
»Du bi st's, des Vaterlandes Hort und Zierde,
Sein Stolz, sein Schmuck, sein Ehrenkleid!
Du bist's, deß starke Hand zum sichern Hafen führte
Sein schwankend Schifflein, fern und weit!
Du hast für Recht und Freiheit kühn gestritten
Und mit der Wahrheit Flammenmuth;
Und mehr als wir hat selbst Dein Herz gelitten,
Entrann der Hand ein hohes Gut!"
so heißt es u. A. in dem Gedichte, das wir wegen
seines Umfanges und, offen gestanden, auch wegen
seines geringen poetischen Werthes hier nicht weiter
wiedergeben wollen. Wer es gedichtet hat, wissen
wir nicht, doch mag auch von dem unbekannten Ver-