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Mathauon, dem heutigen Dorfe Maden, lag die
Mader Heide, die alte Dingstätte, der Gerichts
platz des Gaues, auf welchem zugleich die freien
Männer zu den Berathungen, über das, was dem
ganzen Gaue frommte, zusammenkamen. Auf
diesen! Fleckchen Erde lag also der Brennpunkt
des gesammten chattischeu und hessischen Volkslebens
von ältester Zeit an und das ganze Mittelalter
hindurch, und noch im 17. Jahrhundert fanden
dort wenigstens Versammlungen, die sog. Land
tage, statt.
Neben der Hauptopferstütte des Gaues gab es
aber noch viele andere im Lande; es mag wohl
eine jede Markgenossenschaft eine solche bei ihrer
Gerichts-und Versammlungsstütte gehabt haben,
denn Opfer, Gericht und Versammlung waren eng
mit einander verbunden und ohne Opfer fand
weder das eine noch die andere statt, allein, nach
Tacitus zu urtheilen, werden eben an solchen
Opferstätten nur Thiere dargebracht worden sein,
keine Menschen. Und wie unsere Altvordern
ihre Gerichte und Versammlungen im Freien
hielten, so war es auch mit den Opfern. Von
deutschen Tempeln hören wir sehr wenig,*) von
chattischen gar nichts, und ist es für das Zeit
alter älteren deutschen Heidenthums und bei dem
ganzen im Freien sich vollziehenden Volksleben
auch sehr unwahrscheinlich, daß sie solche hatten.
Um so mehr hören wir von heiligen Hainen
und Wäldern, von heiligen Bäumen und Quellen.
Der Wald ist ihr Tempel; „da wohnt die Gott
heit", wie Baumstark sagt „und birgt ihr Bild
in den rauschenden Blättern der Zweige; da ist
der Raum, wo der Jäger das gefüllte Wild, der
Hirte die Rosse, Rinder und Widder seiner Heerde
darzubringen hat." „Der feierliche allgemeine
Gottesdienst des Volkes hat seinen Sitz im Haine."
Heilige Haine mag jede Markgenossenschaft gehabt
haben, heilige Bäume hatte wohl jedes Dorf, ja
jeder Hof, der einzeln lag, war es nun eine
alte, hochgewachsene, knorrige, weitverzweigte,
dem Wuotan und Donar geheiligte Eiche, dieser
männliche, urkräftige und urdeutsche Baum, oder
war es die weiblich anmuthende, weiche und runde
Formen zeigende, der Göttin Freya geheiligte
Linde, deren noch heute jedes Dorf eine besitzt,
unter welcher die Dorfversammlungen gehalten
werden.
Es würde für meine Ausgabe zu weit abführen,
wollte ich dies hochinteressante Thema noch weiter
ausspinnen; namentlich würden die tausendfachen
Volksgebräuche und ihre Bedeutung Stoff in
Menge bieten, doch ich muß mich bescheiden und
*) Tacitus nennt nur das Gotteshaus der Marsen,"näm
lich den Tempel der Tanfana, und das Haus der Göttin
Nerthus. Erst vom 6. Jahrhundert an mehren sich die
Beispiele. (Mogh a. a. O. S. 1130)
kann nur hie und da etwas herausnehmen, was
mir gerade bemerkenswerth scheint.
Opfer und Opferschmäuse waren von vielen
Gebräuchen umgeben, wie solche auch das ganze
Jahr hindurch alle Vorkommnisse des öffentlichen
und privaten Lebens begleiteten. Selbst bis
in unsere Zeit haben sich viele derselben erhalten,
wie z. B. die in manchen Gegenden noch üblichen
Oster- und Johannisfeuer, und zu bestimmten
Zeiten des Jahres gewisse Backwerksformen, wie
u. a. die hier in Kassel üblichen Männer, Frauen
und Hasen zur Adventszeit, die alle mytholo
gische Bedeutung haben als Göttergestalten des
Wuotan und der Freya oder Frau Holle, oder
als Opferthiere, oder einer Gottheit heilige Thiere,
wie es der der Göttin Ostara geweihte Hase war,
der ja auch wieder zu Ostern seine absonderliche
Rolle als Eierleger spielt.
Verweilen wir noch einen Augenblick beim
Opfer selbst. Das Opferthier, deren vornehmstes
das Pferd war, wurde zuerst herumgeführt, als
dann aus dem Opferstcine getödtet, das Blut im
Opferkessel aufgefangen und auf die Anwesenden
gesprengt, die besten Stücke, besonders der Kopf,
den Göttern zu Ehren ausgesondert und letzterer
auf eine Stange gesteckt oder an einem Baume
befestigt, das Fleisch aber in Kesseln gekocht (nie
gebraten) und dann gemeinsam, und zwar in
Verbindung mit Kräutern, verzehrt. Beim Beginne
des Opferschmauses, der mit jedem Opfer ver
bunden war, trank man der Götter Minne, d. h.
man goß zu Ehren des Gottes oder der Götter
den ersten Becher unter gewissen Ceremonien auf
die Erde aus. Neben den öffentlichen Opfern
des ganzen Gaues oder der Markgenossenschaften
brachte der Landmann und seine Familie auf
eigenem Grund und Boden private Opfer, die
in Blumen oder Früchten, Milch oder Honig
bestanden oder auch in Vieh, — Opfer des Viehes
und Opfer der Früchte, wie wir sie schon an
der Wiege der Menschheit, bei Kain und Abel,
finden. Die öffentlichen Opfer aber wurden auf
den Altären von den Priestern dargebracht; Opfer,
Altar und Priester gehören unlöslich zusammen.
Wenn auch die Deutschen, wie man annimmt,
keine eigentliche Priesterkaste gleich den Druiden
der keltischen Völker gehabt haben, so standen
ihre Priester doch jedenfalls im höchsten Ansehen.
Sie vollbrachten nicht allein die Opfer und alle
religiösen Handlungen, sondern hatten den Willen
der Götter auf verschiedene Art zu erforschen und
leiteten die Gerichtssitzungen und Volksversamm
lungen, wie auch sie allein berechtigt waren, die
Strafen, selbst die Todesstrafen, zu vollziehen,
denn das Leben des Freien gehörte nur Gott,
und nur Gottes Stellvertreter konnte es nehmen;
das Leben des Sklaven dagegen gehörte dem