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schöne Beute haben sie lange nicht mit nach
Haus gebracht; sie wird den kleinen Geschwistern
Körbchen und Ketten davon machen, es bleiben
doch noch genug zum Verkauf.— —
Aber da was leuchtet da im Grase? Jst's
ein Geldstück, o, das käm ihr grade recht! Jetzt
hält sie's in der Hand, eine schwarze, lederne
Geldtasche, deren blanken Verschlußknopf sie in
der Sonne blinken sah. „Gefunden, o, was ich
gefunden habe," jubelt sie, aber die andern alle,
die ebenfalls eifrig mit Suchen beschäftigt sind,
achten nicht auf sie.
Da kommen rasche Schritte den Weg entlang.
Das Mädchen hört's und wendet sich nach dem
Geräusch um. Es ist der jüngere der beiden
Herren, die vorher an ihnen vorbei gegangen
sind. Halb unbewußt läßt sie ihren Fund in
die Tasche gleiten.
Jetzt spricht der Herr die Kinder an:
„Hört, ihr Kleinen, habt ihr nichts gefunden?"
Die stehen da und schaun ihn dumm verlegen
an, nur die eine große, blonde, sucht achtlos
weiter.
„Wir haben vorher hier ein Portemonnaie
verloren, wenn einer von euch es findet, erhält
er eine gute Belohnung."
Wieder sucht sein Auge den Boden, er geht
ein paar Schritt auf und ab. „Hier muß es
doch gewesen sein, Onkel beschrieb mir genau die
Stelle, wo er sein Taschentuch zog. Und ihr
habt nichts gesehn?"
Ne, erwiedert der große Junge, mä hon nix
gesehn.
„Marie! wo is' ds Marie gebliewen? Marie,
der Schweizer kimmt!"
Ja, dahinten kommt der Schweizer, der Auf
seher des Parkes.
Es ist verboten, auf den Rasen zu laufen,
verboten, mit Stöcken und Steinen nach den
Kastanien zu schlagen, die Kinder wissen das
genau und wenden sich nun eilig zur Flucht.
„Wo is ds Marie?"
Der junge Mann geht auf den Parkwächter
zu und klagt ihm seinen Verlust.
„Glauben Sie, daß eins der Kinder das
Portemonnaie an sich genommen hat?"
„Ich weiß es nicht, und ich möchte nicht gern
die Kleinen unschuldig anklagen, aber cs ist am
wahrscheinlichsten, daß die Geldtasche hier an
diesem Platz zu Boden fiel, und die Kinder
waren vorher schon hier."
„Nun, auf jeden Fall nehme ich sie in's Ver
hör. Nachher erstatte ich Ihnen Bericht. Ich
komme später nach der Bellevue. Wollen Sie
mich da erwarten?"
Mit seinen langen Beinen ist er hinter den
Kindern her, die mit dem Wägelchen , und den
vielen unbeholfenen Beinchen, die noch nebenher
trotten, nicht so schnell vorwärts kommen. Der
andre eilt zurück zu der Ruhebank, wo sein Be
gleiter sich niedergelassen hat und schlägt dann
mit diesem den Heimweg ein.
Und Marie, die hübsche, blonde Marie, die
sich mit ihrem Fund in's Gebüsch geschlichen
hat?
Da steht sie athemlos mit klopfenden Pulsen und
hält, die Hand in der Tasche, das Portemonnaie
fest umklammert. Ihren Fund? Jst's noch ein
Fund oder ist's Diebstahl? Warum hat sie ihn
nicht dem jungen Mann vor die Füße geworfen?
Ihre Gefährten sind davon gegangen, sie hat's
gesehen, die Schwester fuhr den kleinen Bruder.
Was wird die Mutter sagen, wenn sie ohne
die große Marie anlangen, und was, wenn sie,
so ganz allein, hinterherkommt? Vielleicht, wenn
sie jetzt aus dem Buschwerk hinaus eilt und den
Weg entlang rennt, holt sie die andern noch
ein. — Sie geht ein paar Schritte auf die Lich
tung zu. Hier kann sie die ganze Allee über
blicken. Da — weit hinten, sieht sie die Kinder,
der Schweizer spricht mit ihnen. O, vielleicht
hält er die für die Diebe. Wahrhaftig, jetzt
sieht er den ganzen Wagen nach, Gott sei Dank,
daß er da nichts findet. Aber sie, sie — glutrot
steigt es ihr ins Gesicht.
Soll sie vorgehen und sagen sie habe das eben
erst gefunden? — Ach niemand würde ihr glau
ben, und sie schämt sich so.
Jetzt steigen die beiden Herrn den Berg hin
auf. Ganz nah an ihr vorbei, aber das dichte
Buschwerk deckt sie. Wie mühselig wird dem
Alten der Aufstieg, wie langsam geht's vorwärts.
Und sie eilt tiefer ins Gebüsch, immer tiefer, und
klimmt dabei höher, immer höher. Fast hat sie
den Gipfel erreicht, der Helle Kies der Promenade
schimmert durch das Strauchwerk. Lebhaft ist's
da oben, unzählige Spaziergänger wogen auf
und ab. Ach, wenn sie auch da oben wäre.
Unter den vielen Menschen würde sie sich ver
lieren, Niemand würde auf sie achten. — Aber
wenn sie auch glücklich nach Hause gelangte, wie
soll sie dann ihrer Mutter und dem strengen
Vater gegenüberstehn? Ach, sie sind immer ehr
lich gewesen, die Eltern und die Geschwister
immer! Und sie, und sie? Fortschleudern will sie
den Fund und durch das Gesträuch hindurch
brechen — aber, wenn man sie nun da oben
schon erwartet?
Da stehn sie gewiß, die Herren und der
Schweizer, um sie in's Verhör zu nehmen. Jetzt
könnte sie nicht mehr leugnen, und sie bliebe
dann, auch wenn sie es nicht mehr in Händen
halte, doch die Diebin!