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Anfrage über das vor 150 Jahren noch in
Obersimtshausen gezeigte Geburtshaus des Cordus.
Er schreibt unter dem 28. Mai 1891: „Das
angebliche Geburtshaus des Cordus in Ober
simtshausen habe ich heute in Augenschein ge
nommen; es wird also gegenwärtig noch gezeigt.
Eine Frau, die dies von ihrer alten verstorbenen
Mutter und von Andern gehört zu haben erklärte,
erzählte mir, daß in diesem Hause ein Dichter
geboren sei; er sei ein gcscheidter Junge gewesen
und eine Frau aus dem Stifte Wetter habe ihn
lernen lassen; der habe sich Soldan ge
schrieben. Es ist also noch nicht jede Erinnerung
an Cordus erloschen. Das angebliche Geburts
haus dieses Dichters Soldan, der unbedingt mit
Cordus identisch ist, ist ein zweistöckiger alter
Bau, an welchem augenscheinlich mehrfache Ver
änderungen vorgenommen sind. Aber einzelne
Theile des Gebäudes verrathen ein sehr hohes
Alter. Es wird versichert, daß die in früherer
Zeit aus sehr starkem Eichenholze errichteten
Häuser viele Jahrhunderte stehen könnten. Eine
Jahreszahl oder sonstige Inschrift, die zur Be
stätigung der Tradition dienen könnte, findet
sich allerdings an dem fraglichen Hause nicht."
Was die Tradition über den Dichter Namens
Soldan betrifft, so ist zunächst auffallend, daß
dieselbe bisher meines Wissens nicht bekannt
gewesen ist, und daß auch Wieg. Kahler, ein
Verwandter der Familie Cordus, der im Jahre
1744 von dem noch gezeigten Gebürtshäuse des
Dichters berichtet, nichts von jener Sache meldet.
Eine zweite Schwierigkeit liegt in der Annahme,
daß sich jene Tradition über drei Jahrhunderte
lang mündlich fortgepflanzt haben sollte. Eine
solche Erscheinung dürfte wohl ohne Beispiel
sein, da es sich hier nicht um die Fortpflanzung
einer allgemeinen Vorstellung, eines Volksglaubens
und dergl. handelt, sondern um einen ganz
bestimmten Namen. Und endlich kann man
nachweisen, daß ein Theil der oben mitgetheilten
Tradition, nämlich die Sage von der Erziehung
des Cordus durch die Aebtissin von Wetter, auf
keinen geschichtlichen Grundlagen beruht, vielmehr
erst durch die fantastischen Berichte Leonhard
Henkels über „Elisabeth, die Edle von Wetter,
Schutzgöttin der evangelischen Aufklärung" u. s. w.
in der Marburger Wochenschrift von 1799
(Stück 31 ff.) aufgebracht worden ist. Henkel,
wie es scheint, selber ein Schwärmer für die
Aufklärung, wie sie ja bekanntlich jener Zeit
eigen war, hat die Stellen der Gedichte des
Cordus, wo er sagt, daß die Musen ihn zu
ihrer Quelle geführt, und dergl., auf die Nonnen
von Wetter bezogen und ein förmliches System
von erbaulichen Legenden ausgesponnen, das auf
geschichtliche Wahrheit keinen Anspruch machen
kann, da kein Mensch bis auf Henkel von diesen
Dingen etwas gewußt hat und die alten Quellen
auch nicht das Mindeste darüber berichten.
Gleichwohl haben sich diese Fabeln bis in die
neuere Zeit (zuletzt durch den Aufsatz von
Seibert über die Schule zu Wetter in "Lang
bein, Pädagog. Archiv 1861. S. 21—46)
fortgepflanzt.')
Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt,
daß diese über ein halbes Jahrhundert lang
geglaubten Erzählungen über Cordus als einen
Zögling „der Schwanenschule der Ritter" und
der Aebtissin von Wetter auch in die Tradition
von Simtshausen eingedrungen sind und uns
nun in der oben mitgetheilten Form — obwohl
längst widerlegt — noch jetzt entgegentreten.
So würde sich diese Schwierigkeit wohl am un
gezwungensten beseitigen lassen.
Was die Tradition über den Namen Soldan
anlangt, so liegt auch hier eine Vermuthung
nahe, welche zur Erklärung derselben beitragen
dürfte: daß sich nämlich diese Ueberlieferung
zunächst in der Familie Soldan, aus welcher ja
eines der letzten Mitglieder gegen dreißig Jahre
lang in der dortigen Gegend Pfarrer gewesen
ist, fortgepflanzt haben möge. Ob vielleicht auch
hier die nächste Quelle des Namens Soldan, wie
ihn die Tradition mit Cordus zusammenbringt,
zu suchen ist, lasse ich unentschieden. In diesenl
Falle wäre anzunehmen, daß das Volk sich
willkürlich diesen Namen für seinen Dichter
von der ihm als solche bekannten Gelehrten
familie Soldan entlehnt habe. Die Tradition
würde natürlich dann jeden Werth verlieren.
Es war der Zweck dieser Zeilen, auf das
wunderbare Zusammentreffen meines Ergebnisses
mit der Simtshäuser Lvkalsage hinzuweisen.
Jeglicher Beitrag von Seiten der freundlichen
Leser, der zur Aufklärung dieses oder jenes
Punktes dienen könnte, würde mir willkommen
sein.
*) Ich habe die Grundlosigkeit dieser Erzählungen in
meiner Monographie über Cordus (Marb. 1863) zuerst
nachgewiesen.