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KLe ältesten Kirchen im Sochstifie Nulöa.
Vortrag, gehalten in der Jahresversammlung des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde
zu Fulda am 15. Juli 1890.
Von Daurslh Friedrich Hossmsnn.
Wir befinden uns hier in Fulda auf einem
der ältesten, der Kultur geweihten Boden
Deutschlands. Bereits im Jahre 744, also vor
mehr denn elf Jahrhunderten, gründete der
hl. Sturmius dahier ein Benediktinerkloster.
Von dieser Zeit bis zu Anfang dieses Jahr
hunderts hatte Fulda geistliche Herrscher, von
deren Wirken noch zahlreiche vorhandene Bauten
Zeugniß ablegen. Zwei, der Zeit nach weit
aus einander liegende Perioden sind es vor
züglich, in welchen die geistlichen Würdenträger
Fuldas eine ganz besonders hervorragende Bau
thätigkeit entwickelten, es sind dies das neunte
und das achtzehnte Jahrhundert. Die stolzen
Bauwerke des letzteren stehen noch aufrecht und
sind uns allen wohlbekannt. Gehört doch auch
das stattliche Gebäude, *) in dem wir heute
hier tagen, das durch die heitere Pracht seines
Festsaales sich auszeichnet, dieser Periode an.
Während aber im 18. Jahrhundert überhaupt
in Deutschland,^ an weltlichen wie an geistlichen
Höfen, eine gesteigerte Bauthätigkeit herrschte,
galt unser Fulda im neunten Jahrhundert für die
hohe Schule der Baukunst und bildete nächst
dem kaiserlichen Hofe zu Aachen den Mittelpunkt
der wichtigsten baulichen Unternehmungen in
Deutschland. Aus diesem Gründe dürfte es
wohl am heutigen Tage angemessen sein, auf
jene Periode die Aufmerksamkeit der verehrten
Festgenossen zu lenken, wenn ich auch zu dem,
was aus jener fernen Zeit bekannt ist, nur wenig
Neues hinzufügen kann.
Rasch war das 744 von Sturmius, dem
Schüler des hl. Bonifatius, gegründete Kloster
Fulda zu hoher Bedeutung gelangt. Hierher waren
die Gebeine des Apostels der Deutschen nach
seinem elf Jahre später (755) in Friesland er
littenen Märtyrertode, seiner ausdrücklichen Be-
stimmung gemäß, verbracht und in der Kirche
des Klosters, nahe dem östlichen Altare, bei
gesetzt worden. Der erste Abt Sturmius hatte
*) Das Orangeriegebäude int Schloßgarten zu Fulda.
die ursprünglich sehr einfache Klosterkirche mit
Säulen geschmückt, mit neuer Bedachung versehen
und für eine würdige Ausstattung des Grab
mals des hl. Bonifatius Sorge getragen. Er
selbst starb 779 und seine Leiche erhielt an der
südlichen Seite der Klosterkirche ihre Grabstätte.
Bald sollte die Kirche zu klein für ihre Be
stimmung werden. Sie vermochte nicht mehr
oie rasch zunehmende Zahl der Mönche und der
frommen Wallfahrer zu dem Grabe des Heiligen
zu fassen. Der zweite Abt des Klosters Fulda,
Baugulf (780—802), hatte bereits einen Er
weiterungsbau der Klosterkirche begonnen und
sein Nachfolger, der bisherige Architekt und Vor
steher der Kunstschule Ratgar förderte energisch
den Umbau, so daß bald eine mächtige Basilika
entstand, die dem jetzigen Dome an Ausdehnung
fast gleich kam. Nach seiner Erhebung zum
Abte (803) fügte Ratgar außer einem Quer
schiffe noch einen Chor an der Westseite hinzu,
das erste Beispiel der später in Deutschland öfter
erbauten doppelchörigen Kirchen.
Eigil, der vierte Abt des Klosters Fulda, ließ
durch den Mönch Racholf der Klosterkirche unter
beiden Chören noch Grustkirchen hinzufügen.
Das Kloster zählte zu jener Zeit, ohne die
weltlichen Ansiedler, schon 400 Ordensgeistliche.
Am 1. November des Jahres 819 erfolgte die
Einweihung des prachtvollen Baues durch den
Erzbischof Heistulf von Mainz und die Ver
setzung der Gebeine des hl. Bonifatius von
ihrer bisherigen Ruhestätte unter den Hochaltar
der Westkirche.
Aber nicht nur die Baukunst wurde damals
im Benediktiner-Kloster zu Fulda gepflegt, auch
die sog. Kleinkünste, wie die Goldschmiedekunst h.,
blühten daselbst. Vorstand der Kunstschule
war zu Ende des achten Jahrhunderts, wie bereits
erwähnt, der damalige Architekt der Klosterkirche
und nachherige Abt Ratgar. Zu großem Ruhme
mußte diese Kunstschule bereits gelangt sein,
denn Kaiser Karl der Große berief zu jener
Zeit aus derselben Einhart zum Vorstande aller