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noch einmal, indem er unter außerordentlichen
Zeitumständen auch außerordentliche Maßnahmen
als zulässig erklärte, auch wurde nun wirklich
am 22. September die Einleitung getroffen.
Kurfürst Wilhelm hatte die Einberufung der
althessischen Landstände auf den 15. Oktober
verordnet; dies hielt in Hanau noch den Aus
bruch der Gewaltthätigkeiten zurück, aber man
sandte eine Abordnung nach Kassel, um auch
die Einberufung von Vertretern des Hanauischen
u. A. zu erwirken. Am 24. September kehrte
sie zurück, zum Unglücke des Abends, und da
sie nicht die Aufhebung der Mauth erreicht
hatte, brach der Sturm los.
Volkshaufen verwüsteten das Licentamt und
das Zollhaus, stürzten sich dann in die Juden
gasse auf die Häuser zweier „Schutzjuden",
plünderten und zerstörten. Die beiden Bataillone
rückten im Alarm aus und trieben die Massen
auseinander, erst um 2 Uhr Nachts war die
Ruhe hergestellt. Allein am folgenden Tage
zerstörte ein Haufe Gesindels das Zollhaus auf
der Mainkur — ein Hohn für die Behörden
wie für die Truppen. An eben diesem Tage
trat die neue Bürgergarde zum ersten male auf
(unter welcher man die Hauptkrawaller vom 24.
gesehen haben wollte), befehligt von dem Fabri
kanten Rößler. Mit ihm vereinbarte Bardeleben
das gemeinsame Auftreten und hatte die Ge
nugthuung, daß dieses Verfahren auch von dem
am 22. Oktober erlassenen Aufruhrgesetze vor
geschrieben wurde. Der Kommandant', welcher
mehr den Rathschlägen seiner Freunde vom
Civil folgte, die überall Truppen haben woll
ten, als den Militärs, klebte noch an der ver
alteten Ansicht, „Alles decken zu wollen", wäh
rend der Oberst davon ausging, sein Regiment
zusammenzuhalten, um an bedrohten Punkten
kräftig auftreten zu können. Es wurde ihm
später die Absicht untergelegt, er habe gar nicht
den Aufruhr des 24. unterdrücken wollen, sonst
hätte er u. A. dem alten und schwachen Gene
rale das Kommando abnehmen müssen. Ueber'
diese Vorwürfe, welche er nur belächeln konnte,
legte er sich selbst Rechenschaft ab: „mit den
Anordnungen Dalwigk's am 24. war ich bis
auf einzelne verwirrte Befehle einverstanden, es
wäre Alles gerade so geschehen, wenn ich den
General des Kommando's entsetzt, also ein
militärisches Verbrechen begangen hätte, nur der
empörende Exzeß in der Judengaffe wäre viel
leicht durch die von mir vorgeschlagene Anord
nung verhindert worden; daß ich nicht meine
Truppen mit dem Bajonet in dichte Volksmassen
sich habe stürzen lassen, wie mir angemuthet
wurde, gereicht mir stets zur Genugthuung —
es brauchte nicht Blut zu fließen!"
Das Regiment wurde von vielen Seiten be
arbeitet, um die Soldaten ihrer Pflicht abwendig
zu machen, der Kommandeur äußerte in der
Hinsicht gegen Müldner „das Regiment war
einen Augenblick nicht in guter Laune, doch
ging dies rasch vorüber, der ruhige, zutrauliche
Blick der Leute war an diesem Tage verschwun
den". Er hielt es nicht für gerathen, Abthei
lungen seines Regimentes in die Provinz zu ent
senden, wo ihre Väter, Brüder und Verwandten
die Empörer waren, lehnte wiederholt das Ver
langen der Provinzialregierung wie des Kom
mandanten, Kompagnien zu detachiren, ab, be
hielt aber die eigentlichen Beweggründe für sich.
Um so mehr erschien ihm ein Truppenwechsel
nothwendig, um seine Bataillone aus dem Boden
der Heimath loszureißen, er beantragte daher
bei dem Generaladjutanten, ein anderes Regi
ment nach Hanau zu ziehen. Sein früherer
Vorschlag einer mobilen Kolonne für das
Hanauische zielte eben dahin.
Der Kurprinz Friedrich Wilhelm erschien
Abends des angsterfüllten 27. September in
Hanau und beschwichtigte in persönlicher An
sprache die Gemüther, wobei er u. A. die Zu
sage ertheilte, daß die verhaßte Mauth nicht
wieder errichtet werden solle. Bardeleben war
mit dieser Sendung vollkommen einverstanden
und regte am 1. Oktober bei Müldner an „der
Kurprinz müsse mit Instruktionen versehen in
Hanau bleiben, die Verhältnisse seien hier außer
ordentlich verwickelt, eine Regierung scheine nicht
vorhanden . . ." Doch noch an demselben Tage
traf die Ernennung von 2 Regierungskommiffaren
ein, darunter Dalwigk; Bardeleben berichtet,
„es habe in Hanau bösen Eindruck gemacht,
weil der Kurprinz dadurch sehr bloßgestellt
werde, auch von Zweien nichts zu erwarten sei."
Der Graf von Wächtersbach hatte in Hanau
Beistand gegen seine empörten Unterthanen ge
sucht, dann, als man ihn nach Kassel verwies, am
Bundestage Lärm geschlagen. Der stellte dann
am 30. September an den Kurprinzen das Ver
langen, Bundestruppen in Hanau aufzunehmen;
nach der Vorstellung des in dieser Zeit beson
nen thätigen Obergerichtsdirektors von Motz
(später bis 1848 Finanzminister) und da Bar
deleben dafür eintrat, mit eigener Kraft der
Unruhen Herr werden zu können, wurde alsbald
dem hessischen Bundestagsgesandten eröffnet, daß
er die Folgen dieser Maßregel zu verantworten
habe und daß fremde Hilfe nicht nöthig sei;
an Baierns alte Gelüste nach dem Hanauischen
denkend, schrieb Bardeleben damals „glücklich ist
der Besitzer,,. Die Baiern kamen nicht, Frie
drich Wilhelm verließ am 1. Oktober Hanau.