154
Viel verrathen — wenn er nicht so charakterfest
und großartig angelegt wäre und viel vornehmer
dächte, als man es gewöhnlich hinter einem
neunzehnjährigen Verkäufer von Puüartikeln
sucht.
Er weiß die Geheimnisse (d. h. die Masken
ballgeheimnisse) der höchsten Damenwelt, denn er
hat viel Kombinationsgabe und konstruirt sich
mit Leichtigkeit allerhand zusammen.
Er weiß z. B., daß die Gräfin S. als Mar-
guerite auf dem morgen Abend stattfindenden
Subskriptionsmaskenball im Königlichen Theater
erscheinen wird — sie kann sich ja nicht aus
schließen, denn sie ist die Tochter des Theater
intendanten. Ihr Kammermädchen hat heute
gelb und weißen Atlas geholt und eine ganze
Schachtel voll französischer Margueriten. Die
junge Gräfin mit den großen, dunkeln Augen
und der geschmeidigen Figur muß „pyramidal"
aussehen in diesem Anzuge, denkt Louis.
Herr Louis Wassermann stammt aus einer
phantasiereichen Familie, die sogar einen miß-
rathenen Dichter aufzuweisen hat. Er ist eben
neunzehn Jahre alt und verliebt sich noch auf
gut Glück — ohne irgend welche Intentionen —
er gehört zu den Astronomen, welche auf dem
Rücken liegend nach den Sternen gucken —
etwas Abstrakteres — Ungefährlicheres giebt es
nicht.
Tagüber kann er seiner Gedankenleidenschaft
wenig fröhnen, denn das geht fortwährend:
Herr Louis, die rothen Kamellien — bitte etwas
plötzlich. — Herr Louis — steheu Sie doch nicht
da — als sei Ihnen die Petersilie verhagelt —
geben Sie mir lieber von ganz da oben die
Apricot-Spitze ä Meter 40 Pfennig. — Herr
Louis — den billigsten Federbesatz, die grünen
Vogelbälge, die Goldborden, die Käfer — die
Litzen, die Nadeln, die Maiblumen! Herr
Louis — wo sind die schwarzen Damen-
Herrenhüte?
Den mattblauen — den grellrothen Non-
pareil — den Atlas merveilleux. Alle neune,
da liegt die ganze Bescheerung! Können Sie
nicht noch einige Schachteln herunterwerfen?
Es giebt nichts Boshafteres, Schlechtgelaun
teres als Ladenmädchen, die einen jungen Ver
käufer hin- und herhetzen — Louis wußte oft
uicht, wo ihm der Kopf stand — aber Nachts
— ja Nachts! Da neigt sich aus goldgewirktem
Tüll und Spitzengewändern mit Bouquets
a 10 Mark verziert, das weiße Antlitz der
kleinen Gräfin S. über ihn und sie flüstert:
„Gern gäb' ich Rang und Reichthum hin für
Dich und Deine Liebe! Was liegt mir an dem
langweiligen Kürassierlieutenant von Zepgen —
was an dem dicken Husarenoberst, die meine
ständigen Begleiter sind? Du bist's, Louis
Wassermann, Du nur allein."
Die hoffnungsloseste, unmöglichste Liebe
scheint Leilten vom Schlage Wassermanns ent
schieden die herrlichste.
Es wäre Louis niemals eingefallen sich in
seines Gleichen zu verlieben. Da kännte man
ihn schlecht — solcher Prosa wäre er nicht
fähig. Er hält sich für eine „innerlich adelige
Natur" — er glaubt an seine „ungewöhnliche
Zukunft" und will in der „Alltäglichkeit" nicht
untergehen.
Wenn er verstohlener Weise im Vorüber
fliegen einen Blick in die Deckenspiegel des'
Ladens wirft, möchte er sich eine Kußhand zu
werfen, so unwiderstehlich kommt er sich in dem
blauen Shlips vor, so distinguirt erscheint ihm
die überschlanke Gestalt, an welcher die mager
und blauroth unter den Gummimanschetten her
vorbaumelnden Hände nicht festgewachsen scheinen,
so interessant die papierene Nase im unentwickel
ten Gesicht.
Selbstredend wird er morgen nach Geschäfts
schluß den Maskenball besuchen. Er hat sich
eine Einlaßkarte ä dreizehn SRorf „erworben",
welche „überall" hin berechtigt, sogar zu einem
Zuschauerplatz in der ersten Rangloge, denn
was Louis Wassermann einmal thut, thut er
ganz.
Seit er diese Karte in der Westentasche trägt
und sein Namen eingeschrieben ist, in die Reihe
der Ersten und Glänzendsten im Lande, kommt
eine Art stillen Größenwahns über Louis, und
dieser Wahn hat die Eigenschaft keinem zu
schaden, als dem unglücklichen Besitzer, dessen
Geld er in vielen Füllen schnell an den Mann
bringt.
Louis Wassermanns höchster Wunsch in Bezug
auf den Besitz irdischer Güter ist ein Brillant-
ring — so wie er am kleinen Finger seines
Prinzipals blitzt — allein von der Unerreich
barkeit dieses Kleinods ist er überzeugter, als
von der Hoffnungslosigkeit seiner Liebe. Als
er nun am Tage vor dem Maskenball mit dem
Reitstöckchen fuchtelnd ä la Grand-Seigneur
durch die Straßen geht, füllt ihm eine Annonce
in die Augen, welche Talmi-Brillant-Ringe
ä sechs Mark empfiehlt — Repräsentiren einen
Werth von 6000 Mark."
Louis hat sechs Mark bei Seite gelegt, um
seiner Mutter eine neue Kaputze zu kaufen —
er läßt den Vorsatz fahren und kauft den Ring.
— Morgen — auf dem Maskenball wird das
Kleinod ihm ein bedeutendes Ansehen geben —
denkt er, und die junge Gräfin wird sich weit
lieber mit ihm unterhalten. Denn sehen und
sprechen will er sie um jeden Preis.