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ehe die Kränze auf dem Grab seiner Frau ver
dorrt wären?"
„Was sagte ich ihm nicht alles? Aber einen
solchen aus Bosheit und Rohheit zusammenge
setzten Charakter zu beeinflussen, wäre wohl selbst
die Beredtsamkeit eines Paulus nicht im Stande.
„Ich muß wieder eine Frau haben, und die
Martlis kann ich gerade jetzt bekommen." Auf
diese beiden Gründe kam er immer zurück. Da
bei konnte er aber nicht die Freude verhehlen,
den Verwandten seiner Frau auf diese Weise
einen gehörigen Streich zu spielen."
Die Pfarrerin weiß nichts mehr zu erwidern.
„Das Unselige Geld!" spricht sie nur noch be
kümmert.
Als aber in der Dämmerung die Martlis mit
einem Korb am Arm vorüber geht, öffnet sie
das Fenster und fordert sie auf, einen Augen
blick hereinzukommen. Ohne Zaudern folgt das
Mädchen der Einladung, aber sein Gesicht sieht
in der schwachen Beleuchtung grau aus, und eis
kalt ist die hartgearbeitete Hand, die es in die
freundlich dargebotene der Pfarrersfrau legt.
„Martlis, ist es denn wahr, willst Du denn
wirklich den Oswald heirathen?" Sie ist auf
die Frage gefaßt. „Ja, Frau Pfarrer," ant
wortet sie kurz, „anders will er dem Vater die
zweihundert Thaler nicht vorstrecken, und der
Peter und das Kathrinchen sollen nicht ins
Armenhaus." Der Peter und das Kathrinchen
sind ihre beiden jüngsten Geschwister, hübsche
Kinder mit blonden Krausköpfchen, und den
Armenhäuslern geht jeder reinliche Mensch gern
aus dem Weg. Das alles weiß die Pfarrerin
und sie weiß auch, wie die Kinder an der Martlis
hängen. Und gerade darum möchte sie gern noch
einen Ausweg finden. „Konnte denn Herr von
Heiden nichts für euch thun? Du hast ja doch
drei Jahre auf dem Gute gedient!"
Jetzt zögert Martlis ein wenig mit der Ant
wort. „Ich war vor acht Tagen dort," sagt sie
dann unsicher, „aber ich kam der Herrschaft wohl
recht ungelegen. Herr von Heiden schalt auf
meinen Vater und meinte, wenn er allen armen
Leuten im Dorf borgen sollte, könnte, er selbst
bald betteln gehen. — Er hatte gewiß Recht,"
setzt sie entschuldigend hinzu, und die Pfarrerin
fühlt es vor Schmerz und Beschämung heiß in
sich aufquellen. Vor acht Tagen hat ja Herr
von Heiden die große Gesellschaft gegeben, bei
der der Champagner in Strömen geflossen ist.
wie der Oberförster ihrem Mann vorgeprahlt
hat. Aber sie hält an sich und stellt die letzte
Frage, die, wie sie denkt, Martlis noch zurück
halten kann.
„Weiß denn der Konrad von Deinem Vor
haben?" Sie hat im Stillen gehofft, Martlis
werde erschrecken, bestürzt ein Hehl aus ihrem
früheren Verhältniß zu machen suchen und dann
eine rührende Szene veranlassen. Nichts von
dem allen geschieht. Das Mädchen sieht sie
durch die immer dichter werdende Dämmerung
ernsthaft und etwas verwundert an und spricht
gelassen: „Wußten Sie denn, daß ich den Konrad
gern hatte? Der hat ja aber schon eine ganze
Weile einen Schatz in der Stadt. Das Bärbchen
hat's hier überall erzählt, und seiner Mutter hat
er's selber auch geschrieben. Aber ich muß heim,
Frau Pfarrer, der Schäfer kommt heut Abend.
Soll ich Ihnen in Heubach etwas besorgen?"
„Nein, ich danke Dir, ich komme wohl noch
einmal selbst hin, ehe Du Hochzeit hältst. Gute
Nacht, Martlis!"
„Gute Nacht Frau Pfarrer, und sagen Sie
doch dem Herrn Pfarrer, er sollte mir nicht übel
nehmen, daß ich den Oswald so bald schon
heirathen wolle, ich sei gar zu schlimm daran."
Die Stimme droht dem Mädchen zu versagen,
rasch wendet es sich zur Thüre und schreitet in
das Dunkel hinaus. Die Pfarrerin aber sitzt
noch lange ohne Licht, und so gottergeben sie
auch sonst ist, ein schmerzliches „Herr, warum V
drängt sich wieder und wieder auf ihre Lippen. —
(Fortsetzung folgt.)
Hessische Treue.
Ich stand auf Marburg's Schlosse
Und sah hinab zu Thal,
Die Stadt lag mir zu Füßen
Im Abendsonueustrahl.
Der Berge Firnen flammten
Von gold'nem Schein umglüht,
Durch grüne Wiesen rauschte
Die Lahn ihr leises Lied.
Da träumt' ich mich zurücke
In Zeit, die längst entschwand,
Das Löwenbanner wehte,
Vom Schloß noch weit in's Land.
Der Ritter manchen reiten
Sah ich vom Schloß in's Thal;
Im blanken Eisenkleide
Brach sich der Sonne Strahl.
Und auf des Schlosses Zinne
Gelehnt am Banner stand