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Friedrich Müller
Nekrolog
voll F. Swenger.
Anr 8. Februar, Vormittags 8 Uhr, starb dahier im
88. Lebensjahre an Altersschwäche der Akademie-
Professor a. D. Friedrich Müller. Wem ist da
nichr, als die Trauerkunde verlautete, der Spruch
des Psalmisten in die Erinnerung getreten: „Unser
Leben währet siebenzig Jahre, und wenn es hoch
kommt, so sind es achtzig Jahre, und wenn es köst
lich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen."
Ja, das Leben des Dahingeschiedenen ist reich an
Mühe und Arbeit gewesen, aber auch reich und köst
lich an Erfolgen, an Ruhm und an Ehren. Hervor
ragend als Künstler, ein ausgezeichneter Aesthetiker,
ein trefflicher Historiker, ein gewandter Publicist,
hat Professor Friedrich Müller allseitige Anerkennung
gefunden für sein Streben und Wirken. Sein Wort
galt gleichviel bei den Hohen der Erde wie bei den
Niederen, sein Urtheil hatte Gewicht, sein Rath fand
Gehör, und dies nicht allein in Sachen der Kunst
und der Wissenschaft, auch in Angelegenheiten des
öffentlichen Lebens, denen er sein besonderes Interesse
zuwandte. Von Jugend an mit unserer Vaterstadt
Kassel auf das Engste verwachsen, einer der besten Kenner
ihrer Geschichte, war er gewissermaßen selbst die
verkörperte Geschichte derselben vom Anfange dieses
Jahrhunderts an. Kein Wunder daher, daß die
Nachricht von seinem Hinscheiden, trotzdem sie seitWochen
schon stündlich erwartet werden konnte, doch für das
Publikum überaschend kam.
Friedrich Müller ist am 14. Oktober 1801 zu
Kirchditmold geboren. Sein Vater war der Weiß
bindermeister Jakob Müller, seine Mutter Elise eine
Tochter des bekannten Oberförsters Grau von Kirch
ditmold. Wenige Jahre nach seiner Geburt siedelten
die Eltern nach Kassel über, wo der Vater bald zu
den angesehensten Bürgern zählte, in den Stadtrath
gewählt wurde und unter dem Oberbürgermeister
Schomburg das Ehrenamt eines Vicebürgermeisters
bekleidete. Hier regte sich früh schon bei dem
Knaben Friedrich die Neigung für die bildende
Kunst, für die er, namentlich für die Malerei, be
sonderes Talent verrieth. Nachdem er das erforder
liche Alter erreicht hatte, trat er als Schüler in die
hiesige Akademie der bildenden Künste ein und machte
binnen kurzer Zeit solche Fortschritte, daß ihm schon
1819 ein Staatsstipendium zur Reise in das Aus
land verliehen wurde. So konnte er denn seine
Sehnsucht nach dem Lande der Kunst, Italien, be
friedigen. Interessant ist seine damalige Begegnung
mit dem Kurfürsten Wilhelm!., der bekanntlich selbst ein
großer Kunstliebhaber und Kunstverständiger, trotz seiner
übertriebenen Sparsamkeit, doch gern und in liberaler
Weise für das Fortkommen junger talentvoller Künstler
sorgte. Friedrich Müller hatte sich bei dem Landesherrn
für die GcWährung des Reisestipendiums zu bedanken.
„Im schwarzen Anzuge", schreibt er selbst in seiner
Schrift „Kassel seit siebzig Jahren", „mit seidenen Kniee
hosen und dito Strümpfen und silbernen Schnallen
an den Schuhen, begab ich mich in das Bellevue
schloß. Trotz der beiden Gardeposten vor der Thür
und der Schweizerwache auf den Gängen trieben sich
gewöhnliche Bürgerkinder in dem Hause spielend
herum. Der diensthabende Kammerdiener meinte,
daß ich keinen guten Tag gewählt habe, denn der
gnädige Herr sei eben von einer Spazierfahrt nach
Wilhelmshöhe recht betrübt zurückgekommen, da er
dort in Erfahrung gebracht, daß der dasige Amtmann
Neuber in der vergangenen Nacht gestorben sei, er
wolle mich aber demohngeachtet melden. Die Audienz
wurde bewilligt. Beim Eintritt in das Empfangs
zimmer sah ich den Kurfürsten in voller Uniform,
mit steifen Reitstiefeln und dem langen Degen, an
dem gegenüber befindlichen Ofen stehen und sich die
Hände wärmen. Es war nemlich strenge Winters
zeit. Er kam mir einige Schritte entgegen und ich
meinerseits machte eine Bewegung, um, wie es mir
zu Hause eingeschärft war, meine herausgestotterten
Dankesworte zugleich mit einem Kusse auf seine
Rockschöße zu bekräftigen, was er aber mit Milde
abwehrte. Dann sprach er von der Größe meines
Stipendiums und nannte zweimal die Summe, die
nach den heutigen Begriffen zwar eine sehr bescheidene
war, ihm aber sehr groß schien. Weiter bemerkte
er, daß, weil ich jetzt in die große Welt ginge,
namentlich auch nach der gefährlichen französischen
Hauptstadt, und ich ein noch so junger Mann sei
— ich hatte 18 Jahre eben hinter mir —, so wolle
er, ein älterer Mann, mir einen guten Rath mit
geben. Dieser siel denn auch wirklich recht väterlich
aus. Der Schluß war: Denken Sie stets daran,
was Sie Ihren Eltern schuldig sind, und Ihrem
Großvater, der mein ältester Diener ist.*) Nachdem
ich entlassen war, rief er mir in der Thür noch nach:
Kommen Sie aber auch hübsch wieder. Dieses bezog
sich nämlich darauf, daß mehrmals die Stipendiaten
dieser Pflicht nicht nachgekommen waren." Diese
Befürchtung war bei Friedrich Müller nicht begründet.
Er war in seiner Jugend schon ein Hesse von echtem
Schrot und Korn, und den zieht es in der Fremde
immer und immer wieder nach seinem geliebten
Heimathlande zurück. Es war das letzte Mal, daß
er mit dem alten Kurfürsten zusammenkommen sollte.
*) Es ist hier wohl der Großvater mütterlicher Seite,
der oben bereits erwähnte Obersörster Grau gemeint.