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dem Ruhme besser die Hand bieten zu können.
Sein Geist wäre srei genug dazu gewesen, aber
sein Herz konnte nicht los. Er blieb ein stiller,
einsamer Mann, der aktuelle Novellen schrieb
und einen Sohn ernährte, der ein unliebens
würdiger Taugenichts war. Heinrich schien mit
einem jener Köpfe und Herzen auf die Welt
gekommen zu sein, die von Natur ein Leck im
Boden haben. Was man auch hineintrichtert,
es bleibt nichts darin. Sein Gemüth war von
Anfang an wie eine glatt geschlissene Basalt
kugel, sie rollt dahin und nimmt keinen Eindruck.
Heinrich war zu nichts auf der Welt gut. Er
hatte auf dem Gymnasium herumgelungert und
auf der Universität gebummelt, ja, er war nie
zu einem Examen zugelassen worden.
Endlich brachte ihn der kummervolle Vater
als Volontair in einem Engrosgeschäft unter.
Heinrich war faul, verschwenderisch, selbstsüchtig,
dumm und lieblos, aber dennoch opferte Herr
Peters sich für den Schlingel auf. Sein Weib
war ja um seinetwillen gestorben und sterbend
hatte sie gesagt: „Du niußt dem Jungen Mutter
und Vater sein!" und so hatte Herr Peters dem
Kinde niemals wehe gethan, weil er die mütter
liche Zartheit ersetzen wollte. Unser guter Wille
macht oft die gröbsten Fehler. Herr Peters
hatte Heinrich jeden Wunsch erfüllt — aber das
Kind war ein Mann geworden und forderte
noch heute die Erfüllung eines jeden Wunsches
von dem Vater mit derselben Rücksichtslosigkeit
und Unbedenklichkeit. Und Herrn Peters Geduld
wurde größer mit Heinrich's Wachsthum, er
drückte die Basaltkugel an das Herz und meinte,
eines Tages müsse sie doch erwärmen. Er glaubte
zuweilen, wenn er sein Aeußerstes für Heinrich
gethan, dann müsse Heinrich doch einmal herzlich
und dankbar werden — vor allen Dingen hätte
es ihn sehr gefreut, hätte der Sohn nur ein
einziges Mal ein kleines, kleines Interesse für
seine Geschichtchen und Novellen gehabt. Hin
und wieder war es vorgekommen, daß ihm der
eine oder andere Fernstehende sagte oder schrieb:
„Ich hab' Ihre Sachen mit Interesse gelesen"
— „Ihre Gedanken treffen sich mit den meinen!"
Aber Heinrich — Gott bewahre — der las nur
französische und deutsche Kolportage-Romane,
und aus diesen nur die bedenklichsten Stellen.
Herr Peters hätte sich aber eher die rechte
Hand abhauen lassen, ehe er damit ein Wort
geschrieben hätte, das ein Kinderohr verletzt
hätte. Dennoch war Heinrich das treibende
Motiv in Herrn Peters poetischen Leistungen,
der Schlüssel zu dem Heller'schen Spielwerk.
Heinrich hatte noble Passionen. Er liebte ein
„schneidiges Auftreten", und Freunde, die reicher,
vornehmer und von höherem Stande waren als
er selbst. Solche Freundschaften kosten nach vielen
Seiten viel.
Wenn Heinrich seinem Vater eine lange Rech
nung seines Pariser Schneiders oder über die
Kosten eines Champagner-Frühstücks präsentirte,
dann fühlte der Vater eine große Anregung und
schrieb eine Novelle, lustig, geistsprühend, oder
traurig, wie sie für das Blatt, für welches er
schrieb, eben paßte.
Herr Peters nahm seinen Stock und ging
hinaus. Die frische Luft vertrieb ihm die Grillen.
Es war ein vorzeitig warmer Tag. Die Sonne
brannte schon Sommerstecken auf die Haut,
während Einem noch die Hände erfrieren konnten.
Ein unangenehm trügerisches Wetter; die Kinder
trauen ihm und die Alten hüllen sich wärmer
ein als je. Kommender Frühling! Eigenthüm
liches Leben weckt seine Ahnung in den ab
gelegenen Straßen des Nestes.
Leise zog die graue, feindliche Stimmung, die
der Umgebung jeden Reiz absprach, aus Herrn
Peters Seele. Die kleinen Leute sieht er dem
Frühling förmlich entgegen gehen. Sie begegnen
Herrn Peters mit Hacken, Grabscheiten und
Handwagen. Er biegt in eine zweite Gasse ein,
da kommt eine seltsame Prozession auf ihn zu.
Lauter kleine, ärmlich gekleidete Knaben und
Mädchen, wenigstens zwölf an der Reihe. Sie
sind alle rein gewaschen, frisch gekämmt und so
entsetzlich pomadisirt, daß die hübschen blonden
Haare dunkel und naß um die Stirnen liegen.
Den Jungen sind mit Gewalt die Locken hinter
die rothen Ohren gestrichen und den Mädchen
hängt der Zopf chinesenhaft gerade den Rücken
herunter. Einige haben ganze Schuhe an, aber
den Meisten gucken die Zehen aus großen,
klaffenden Löchern, dennoch sehen Alle sehr feier
lich aus, sehr wichtig und sehr vergnügt — denn
jedes trügt einen grünen Buchsbaumkranz mit
roth gefärbten Immortellen und einer ungeheueren
weißen Atasschleife von billigster Qualität in
den weit vorgestreckten Händen, es sind Todten-
kränze.
Herr Peters hält den Führer der kleinen
Schaar an.
„Zu wem tragt ihr denn die Kränze?"
„Zur Madame Grünen! Der Madame Grünen
ist ihr kleines Kind gestorben!"
Der rothbackige Bengel lacht, während er diese
Antwort giebt; er ist überhaupt nur noth-
gedrungen traurig, wenn er Prügel bekommt,
und daß Sterben ein ernstes Ding ist, wissen
nur die Großen, welche über die Tiefen und
Höhen des Lebens gegangen sind, die Kleinen,
Reinen, Unschuldigen kennen nichts davon, außer
daß es schön ist, Flügel zu erhalten, mit denen
man den Himmel erreicht. Die Kleinen trippeln