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Lehnshoheit über Hessen beanspruchte, und zum
Schutze seiner Städte mußte der Landgraf, ob
er wollte oder nicht, der heftigste Feind der
Ritterbünde jener Zeit werden. An dem oben
entworfenen Karten-Bilde hatte sich recht wenig
geändert, als am 6. December 1373 Kaiser
Karl IV. feierlich ganz Hessen zu einer untheil-
baren Landgrafschaft erhob.
Angenehm war dann der Kauf der oft störenden
Herrschaft Spangenberg und der Erwerb der
Hälfte von Itter und der Mitbesitz von Halb-
Schmalkalden, die noch Heinrich II. der Eiserne
erlebte, aber sie traten alle ebenso zurück wie
die Erwerbungen Landgrafs Hermann I. des
Gelehrten (Halbherrschaft Lisberg und Wölkers
dorf nämlich) gegenüber den Erwerbungen und
erlangten Lehnshoheiten des Landgrafen Ludwig I.
des Friedsamen, mit denen wir ein zweites
Karten-Bild auszufüllen suchen. Ihm gelang es
die zerrissenen Lande der Landgrafschaft Hessen
durch Neuerwerbungen glücklich abzurunden und
zu einem zusammenhängenden Ganzen zu ge
stalten durch die 1450 erfolgte Einverleibung
der Grafschaften Ziegenhain und Nidda. Dieser
Heimfall war eine Lebensfrage für Hessen ge
worden und hat auffallende Aehnlichkeit in seinen
Folgen mit den preußischen Annexionen des Jahres'
1866; an Stelle der getrennten Osthälfte mit
Kassel und der Westhälfte mit Marburg trat
plötzlich ein Gebiet, das mit Ausnahme der
geistlichen Gebiete die Kernlande des Hessen
landes umfaßte. Das war keine Zufallserwer
bung, sondern das Werk langer, sehnsuchtsvoller
Arbeit, die endlich der Erbvertrag des Jahres
1413 krönen sollte. Nicht unwichtig trat dazu
die Schirmherrschaft über die Abtei Hersfeld,
die hessische Lehnshoheit über Waldeck, Plesse,
Rietberg, Schauenburg und andere Dynasten,
sowie der halb erlangte, halb vorbereitete Heim
fall der Grafschaft Schonenberg mit Hofgeismar
und Helmarshausen, sowie der Kauf des Amtes
Neuengleichen bei Göttingen. Ueberhaupt, ver
ehrte Anwesende, wird Ludwig I. allzuviel als
bloßer Friedensfürst nach seinem Beinamen dar
gestellt. Man vergißt zu leicht, daß er es war,
der den Mainzer Vergrößerungsplänen, die im
Herzen Deutschlands ein großes geistliches Fürsten
thum zu gründen bezweckten, durch seine Siege
bei Fritzlar und Fulda (1427) für immer ein
Ziel setzte. Er war es, der damals mit den
Worten „Heute Landgraf oder keiner" auf die
Feinde eindrang und die Seinen zum Siege
führte.
Bei Ludwigs Tode erstreckte sich die Land
grasschaft von der Diemelmündung bis an die
Wetterau und von Biedenkopf bis Treffurt.
Leider schritten seine Söhne Ludwig II. und
Heinrich III. nach blutigen Kämpfen zu einer
Theilung Hessens, die, wenn auch durch eine
zwölfjährige Vormundschaft Heinrichs über seine
niederhessischen Neffen unterbrochen, volle 42
Jahre währen sollte.
Auf der zu entwerfenden Karte wäre eine
zweifache Theilungslinie anzulegen, da der hab
gierige Heinrich 1460 zu Oberhessen noch Ziegen
hain erhielt, ein Vergleich, der 1467 am Spieß
ziemlich genau bestätigt ward, wo bis ins kleinste
(bis auf Eier und Käse) die Theilung ausgeführt
ist; auch für Hermann, den dritten Bruder, ein
Theil ausgesondert ward. Der uns erhaltene
Vertrag böte zugleich die beste Prüfung für
unsere, gerade diese Zeit darstellende Gebiets
karte dar. nir-f
Schon 1741 starb Landgraf Ludwig II., ohne
noch den Heimfall der reichen Grafschaften Ober
und Nieder-Katzenellnbogen an seinen Bruder
Heinrich III., deshalb der Reiche zubenannt, zu
erleben. Diese fielen 1500, nach dem Aussterben
der Marburger Linie an den Landgraf Wilhelm II.
von Kassel, der neben ihnen und oer von ihm
selbst erkauften halben Herrschaft Eppstein nach
Absetzung seines Bruders wieder ganz Hessen
vereinigte. Aber Wilhelm II. erlebte diese Macht
fülle nur noch 9 Jahre lang und fügte in dieser
Zeit seinen in drei Theilen getrennt liegenden,
schönen Landen noch Homburg v. d. H. 1504 zu,
das ihm aus der Theilnahme an dem bayerischen
Erbfolgekrieg zufiel. Betrachten wir uns dies
Erbe des vierjährigen Landgrafen Philipp etwas
näher, es soll ein drittes Karten-Bild füllen.
Die geeinigte Landschaft kennen wir schon,
die der Spieß in ein Ober- und Niederfürsten
thum schied und über die zwei Grafschaften
Katzenellnbogen wird es genügen Rankes Worte
anzuführen, um den Werth der Lande um Darm
stadt und um St. Goar, Rheinfels und Katzen
ellnbogen darzuthun: „Es war eine sorgfältig
gepflegte, blühende Landschaft, von welcher die
alten Grafen nie ein Dorf, nie ein Gut weder
durch Fehde noch durch Kauf hatten abkommen
lassen."
Prägen wir uns, verehrte Zuhörer, dieses
Karten-Bild ja recht genau ein, denn es sind
die Lande, auf die gestützt Philipp der Groß
müthige seine weltgeschichtliche Rolle in den
Wirren der Reformation spielen konnte.
Doch vergessen wir nicht, daß der neue Zu
wachs ein zufälliger war: Hätte die Erbtochter
Anna von Katzenellnbogen einen andern, etwa
einen Grafen von Nassau oder Wirtemberg
geheirathet, niemals hätten die Landgrafen von
Hessen am Mittelrhein zweifach Fuß fassen können,
und das rasche Aussterben der Marburger Linie
ist im Sinne der Gesammt-Gebietsentwicklung