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Fortschaffung, welche zu einer Aenderung des
Plans bestimmte, sondern auch die Erwägung,
daß das Gewicht des Steinblocks für das Ge
bäude, welches ihn tragen sollte, zu schwer sein
würde. Landgraf Karl, der den Bau im Anfang des
18. Jahrhunderts aufführte, befahl daher, daß der Riesen
stein in guter Ruhe liegen bleiben und daß auf die Spitze
der steinernen Pyramide, welche sich über dem Riesen
schloß erhebt, eine 31 Fuß hohe aus Kupfer
getriebene Bildsäule des griechischen Halbgottes
Herkules gesetzt werden solle. - Die hessischen
Bauern freilich, welche von den Arbeiten und Mühen
des griechischen Halbgottes keine Ahnung hatten,
und nicht begriffen, wie der in unserem Land ein
Denkmal erhalten könne, bezeichneten die über
den Wäldern des Karlsbergs weithin sichtbare
Säule nach einem sagenhaften christlichen Helden und
nannten sie den großen Christoffel. — Wir
also, neugierig den Vorgänger des kupferen Her
kules kennen zu lernen, hatten in Martin -
hagen nichts Eiligeres zu thun, als nach dem
steinernen zu fragen. Allein unsere Erkundigungen
waren vergeblich; Niemand wußte vom Herkules
etwas zu sagen. Schon wollten wir unsere Nach
forschungen aufgeben, als eine alte Bäuerin uns
zurief: „Ach, se (Sie) wonn (wollen) gewiß den
Herrn Kules sehen; der leit (liegt) ganz nah
vor dem Dorf." Nun wußte Jedermann Bescheid,
nnd mit leichter Mühe gelang es uns den Herrn
zu finden; der sehr breitspurig in einer Länge von etwa
30 Fuß damals schon etwa 130 Jahre lange zur
Seite des Dorfes gelegen hatte.
Ungefähr um dieselbe Zeit, als die Wanderer aus
Kassel zu Martin Hagen die Bekanntschaft des
Herrn Kules machten, trug sich in Wilhelms-
höhe das Folgende zu. Kurfürst Wilhelm II.,
der die Sommermonate dort zuzubringen pflegte,
besuchte eines Nachmittags den damals in der Nähe
des Schlosses gelegenen Marstall. Da er den Stall
meister, mit welchem er sprechen wollte, nicht vor
fand, so beauftragte er einen der Stallknechte diesen
zu rufen. Ehe aber der Mann sich auf den Weg
gemacht hatte, rief ihn der Kurfürst zurück und
fragte: „Wie heißt denn das Pferd hier?" König
liche Hoheit, he schriewet sich „Hanebambel" war
die Antwort des Stallknechts. „Dummes Zeug,
sagte der Kurfürst, wie kann denn ein Pferd
schreiben. Mach', daß Du fortkommst!" Nach
kurzer Zeit stellte sich der Stallmeister ein und
erkundigte sich nach den Befehlen des Fürsten. Dieser
gab ihm einige Aufträge und wiederholte dann seine
frühere Frage, indem er auf einen stattlichen Rappen
hinwies: Das Pferd heißt Hannibal, Königliche
Hoheit, antwortete der Stallmeister. Der Stall
knecht aber, der in der Nähe stand, wiederholte:
„Hon (habe) ech's dann nit gesät (gesagt): he
chriewet sich H a n e b a m b e l?“ A. W.
Aus Aeimath und Fremde.
Am Montag den 28. Oktober hat der Verein für
hessische Geschichte und Landeskunde seine Monats
versammlungen für dieses Winterhalbjahr wieder
aufgenommen. Nachdem der Vorsitzende, Major a. D.
von Stamford die geschäftlichen Mittheilungen
beendigt hatte, hielt Dr. phil. F. Seelig den an
gekündigten Vortrag: „Der Name Hessen
und das Ch alte nl and, sowie die Gebiets
entwickelung der Landgrafschaft". Im
Inhalte wie in der Form war dieser Vortrag gleich
vortrefflich. Mit gespannter Aufmerksamkeit und
lebhaftem Interesse folgten die Zuhörer den auf den
gründlichsten Studien beruhenden, streng wissenschaft
lichen, klaren und allgemein verständlichen Aus
führungen des Redners, dem am Schluffe reicher
Beifall zu Theil wurde. Der Redner wies
nach, daß „Chatte" und „Hesse" Laut für Laut mit
einander übereinstimmen. Der Name „Hessi" komme
zum erstenmal im Jahr 720 in einem Reiseberichte
des hl. Bonifatius vor, während der Name „Chatti“
zuerst kurz nach Christi Geburt bei Strabo
und dann häufiger erwähnt werde, bis er 392
völlig aus den Geschichtsquellen verschwinde.
Bei Bestimmung der Grenzen des Hessenlandes ver
möge allein die Sprachwissenschaft mit Hilfe der
mundartlichen Forschung Aufschluß zu geben. Red
ner bezeichnet dann die Sprachgrenze des Hessen
landes wie folgt: Im Norden läuft sie von der
Ederquelle bis nach Münden hin, dann springt sie
fast rechtwinklig nach Osten und läuft auf der Wasser
scheide zwischen Fulda und Werra, hiernach der
Wasserscheide zwischen Rhein und Weser folgend zum
Vogelsberge hinüber, dessen Nordabhang allein hessisch
ist. Vom Taufstein im Vogelsberg aus wird
eine Linie über Laubach, Grünberg, Lollar und
Gladenbach zum Ederkopfe ungefähr das Richtige
treffen. Das Hessenland fällt sonach mit dem Ge
biete der althessischen Flüsse Fulda, Edder und
Schwalm, sowie der oberen Lahn zusammen. Dieses
Gebiet, der größte Theil des heutigen Regierungs
bezirks Kassel, ist höchst wahrscheinlich fast unver
ändert das alte Chattenland. An der Fulda, Edder,
Schwalm, Ohm und der oberen Lahn wohnten die
Chatten und wohnen die Hessen seit etwa dritthalb
Jahrtausend. Der Bund zwischen Hessenerde
und Hessenvolk ist ein heiliger, hinaufreichend
bis in die sagenhaften Nebel germanischer
Vorzeit. Eingehend behandelte Redner die Ge-
bietsentwickelung der Landgrafschaft an der Hand
der Geschichte. Da wir in einer der nächsten
Nummern unserer Zeitschrift den Vortrag des Herrn
Dr. F. Seelig seinem wesentlichsten Inhalt nach wieder
geben werden, so mögen für heute diese kurzen An
deutungen genügen. Zum Schluß wollen wir zu
bemerken nicht unterlassen, daß der Vortrag beredtes