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Laufe der Zeit der Stammvater und das Haupt
einer weitverzweigten Räubersippe wurde. Es mag
das um das Jahr 1774 gewesen sein; er nannte
sich damals „Johann Seipel,“ welchen Namen
er, seitdem er aus dem Gefängnisse zu Homberg
ausgebrochen war, angenommen hatte, und auf
welchen er seine Kinder taufen ließ. Mit dieser
Flank trieb er einen Porzellan-Handel und
nebenbei gelegentlich das Geschaͤft der Langfingerei.
— Der Krug geht jedoch solange zu Wasser, bis
er bricht. Im Jahre 1777 ward er abermals
gefänglich eingezogen und kurzer Hand von dem
Gericht an eine Preußische Werbung abgegeben.
Solche Auslieferungen von Verbrechern von
Seiten der Gerichte an die überall in den deutschen
Territorien sich befindenden Oesterreichischen und
Preußischen Werbe-Stationen waren in jener
Zeit an der Tages-Ordnung; es war das ein
Auskunftsmittel, das bei beiden Theilen sich einer
gewissen Beliebtheit erfreute: den Heeren schaffte
es auf die billigste Weise Rekruten, und die Ge—
richte wurden durch dies Verfahren langen und
nicht selten beschwerlichen Prozeduren überhoben.
Freilich kamen diese Werbungen auch sehr oft den
Verbrechern zu statten, indem sie den Gerichten
(waren sie entwichen oder wurden sie verfolgt) da—
durch ein Schnippchen schlugen, daß sie unter
fremden Namen Handgeld nahmen.
Stelzener oder Seipel, wie er jetzt hieß, kam
wieder nach Wesel, wohin ihn seine Anne-Marie
begleitete und machte 1778 den Feldzug in Bayern
mit. Darnach ging er als Kolonist nach Polen,
von wo er 1781 mit seiner Genossin zurückkehrte
Nach seiner Rückkehr suchte er sich eine andere
Gegend aus, wo man ihn und seine Vergangen—
heit nicht kannte. Er trieb sich bald im Pader—
horn'sjchen, bald im Braunschweig'schen umher,
seinen Aufenthaltsort stets wechselnd und damit
beschäftigt, Linnenzeug der Landbevölkerung zu
drucken. Von dieser Hantierung rührt sein
späterer Gaunernamen: „Der alte Drucker“
und der seiner Anne-Marie: „Die alte
Druckerin“ her.
Ueber ein Jahrzehnt trieb er es auf diese
Weise. Da gerieth er in die Gesellschaft seiner
Schwäger, deren Namen in den Gerichtsannalen
als „Fann-Karl“ und „Philipp Franke“
berüchtigt sind. Mit diesen führte er im Pader—
born'schen verschiedene Diebstähle aus, und gar
bald ward in dieser Gesellschaft der Gelegenheits—
dieb zu einem Dieb und Räuber von Profession
schlimmster Sorte; denn, einmal dahin gekommen,
war es sein Dichten und Trachten: Gleichgesinnte
zu einer Bande um sich zu sammeln, mit welcher
er das Geschäft — um uns so auszudrücken —
schwunghaft betreiben könne. Das Mittel dazu
mußten seine inzwischen herangewachsenen Töchter
abgeben, die — sämmtlich nicht häßlich — (die
dritte war sogar von solcher Schönheit und
ugendlicher Frische, daß sie in ihren Kreisen die
„schöne Gertrud‘“ hieß) er an Gauner von Ruf
verkuppelte, so 1795 die älteste, Christiane, an
den „großen Hann-Peter,“ die zweite, Ja—
kobine, vulgo „Druckers Dickes,“ an den
„Hann-Jost Mein“ und die dritte, die schöne
Hertrud, an den „schwarzen Hann-Adam“.
Letzterem, dessen Tauf- und Familien-Namen
Johann Adam Wenderoth war, werden wir in
dieser Skizze noch mehr als ein Mal begegnen. —
Diese Drucker'sche Sippe, zu welcher noch der
ilteste Sohn, der sogenannte , Druckers Hannes,“
welcher von dem Räuber „Stumpf-Hannes,“
auch „Stumpf-Arm'“ genannt, aus der Taufe
Jjehoben worden war, und einige andere zu rechnen
ind, die mit ihr verschwistert und verschwägert
paren, als der „Mannes,“ ein Schwestersohn
der alten Druckerin, der Erkel'sche Schuster
u. a. m. bildeten den ursprünglichen Stock, aus
welchem die später weitverzweigte Verbrecher—
Bande erwuchs.
Eine Reihe von Jahren trieb diese Familie
ihr Unwesen, ohne daß es den Gerichten gelang,
der frechen Diebe und Einbrecher, deren Namen
man nicht einmal zu kennen schien, habhaft zu
werden, bis endlich nach einem Einbruche bei dem
Kammer-Rath Hecht zu Gut Watzum im Hildes—
heim'schen im Jahre 1801 der alte Drucker, der
schwarze Hann-Adam und Druckers Dickes in dem
Kruge, Zum Lämmchen“ im Preußischen AmteHorn—
burg als des Raubes verdächtig arretirt wurden.
Bei diesem Einbruche stiegen die Räuber, be—
stehend aus dem alten Drucker, dessen drei
Schwiegersöhnen und deren Frauenzimmern, auf
einer hohen Leiter durch das Fenster der Milch—
kammer ein, durchstöberten bei brennender Lunte
das Haus, erbrachen Thüren, Schränke, Kisten
und Kasten, ohne daß die Haus-Insaßen er—
wachten und raubten eine bedeutende Menge
werthvollen Silbergeschirres, Tischzeug, Linnen,
Bettwerk und andere Sachen.
Der alte Drucker und der schwarze Hann-Adam
wurden nach Braunschweig ausgeliefert und durch
den dortigen Stadtmagistrat durch Urtheil vom
5. Januar 1803 jeder auf fünf Jahre zur
„schweren Karre“ verurtheilt. Der alte Drucker
iigurirte in diesem Prozesse als „Johann Ernst
Ludwig“ aus „Berlin,“ als welcher er auch ab—
zeurtheilt ist. Schon um Weihnachten 1805 ent—
ieß man ihn, und zu Neujahr 1806 traf er in
Zwergen im Niederhessischen bei der Bande wieder
ein, die, durch seine Aukunft neu belebt, in dem
Zeitraum von wenigen Monaten zehn Räubereien
overübte, welche mit den größten Gewaltthätig—
keiten verknüpft waren. Fortsetzung folgt.)