135
sich der Schwierigkeiten bei Anlage der nicht von
allen Seiten vortheilhaften Lage dieses Gebäudes
wohl bewußt war. Die daneben befindliche
nach der Altstadt führende Straße hatte in einer
Länge von 120 Fuß eine nicht zu ändernde
Tiefe von 20 Fuß, und mußte deshalb die Lage
des Hauses nach dieser Seite viel höher werden
als die nach den andern Seiten. Ein weiterer Miß—
stand war es, daß die Seite des Platzes, auf welcher
die Vorderseite des Hauses zu errichten war,
von der Königsstraße nach der Aue hin in einer
Länge von 1100 Fuß 26 Fuß Fall hatte und
das Haus daher 12 Fuß tiefer als die Häuser
in der Königsstraße, dagegen 18 Fuß höher,
als die Häuser in der Altstadt, zu stehen kam.
Dazu kam noch, daß der Grund für das Gebäude
auf dem zugeworfenen Festungsgraben in einer
Tiefe von 80 Fuß gesucht werden mußte. Und
doch entstand ein Gebaäͤude, welches zu jeder Zeit
die größte Anerkennung bei allen Sachverständigen
gefunden hat, und erkennen läßt, daß der Erbauer
ein Meister seiner Kunst war. Eines solchen
bedurfte auch der im Jahre 1785 zur Regierung
gelangte Landaraf Wilhelm IX. bei seinen groß⸗
artigen Bauten und Anlagen auf der nach ihm
Jjenannten Wilhelmshöhe. Doch war es Du Ry
iur noch vergönnt, die beiden Flügel an dem
drächtigen Schloßbau zu vollenden. Am 17.
August 1799 endete er als Oberbaudirektor mit
den Titeln Rath und Professor sein reich gesegnetes
Leben. Auch ihm hatte die Hoffnung geblüht,
n seinem Sohne einen Erben des von ihm und
einen Vorfahren erworbenen, Ruhms als Meister
der Baukunst zu hinterlassen, als ein plötzlicher Tod,
velcher; den lalentvollen Sohn auf einer Kunst—
eise nach Italien in Neapel ereilte, diese Hoff—
ung vernichtete und die letzten Lebenstage des
Jaters um so schwerer und kummervoller machte, als
zuch dessen geliebte Gattin dem Sohne im Tode
orangegangen war. Tröstend standen ihm aber
wei Töchter zur Seite, durch welche in der Fa—
nilie Rothe uͤnd Grandidier das Geschlecht der
Du Rys in weiblicher Linie noch fortlebt. Das
VBerdienst aber, welches die Familie Du Ry durch
die vielen von ihnen herrührenden Baudenkmäler
für die Stadt Kassel erworben hat, wird für
alle Zeiten unvergessen bleiben.
—
Eine Radikalkur.
Erzählund von Wilhelm Bennecke.
(Fortsetzung statt Schluß.)
Er setzte den Cylinder auf und man sah ihn kurz vurde, auf, dem Hofe das Vergnügen gemacht, die
darauf'über deu weitläufigen Hof nach seinem vort zahlreich im Sonnenschein herumspazierenden
Comptoir schreiten. Dasselbe bestand aus drei Tauben mit den Ueberresten seines Frühstücks
ineinandergehenden Zimmern; in dem ersten u füttern und wollte dann das Haus verlassen.
befand sich einer der Lehrlinge, welcher sich bein Auf dem Corridor kam Herr Wiesthaler hinter
Eintritt seines Chefs ehrfurchlsvoll von dem Pult hmeher. „Wohin gehen Sie schon so frühe?“
erhob, wo er mit Lesen eines handelswissen- Jerrschte der Geschäftsführer den jungen Menschen
schaftlichen Buches beschäftigt war; Herr Daniel in., „Wissen Sie nicht, daß Sie bis ein Uhr zur
schritt, den Hut auf dem Kopf behaltend, in das Verfügung stehen sollen?“ — „Herr Schröder
zweile Zimmer. Dort schrieb er ein Telegramm Jat mich nach Hause geschickt', erwiderte der
üt Rückantwort, übergab dasselbe dem Lehrling Lehrling bescheiden. „Ich soll spater ein Telegramm
mit der Weisung es sofort nach Oeffnung des ür ihn aufgeben.“ — „Ein geschäftliches?“ fragte
Telegraphen:Bureaus aufzugeben und entließ Biesthaler. — „Ich habe es nicht gelesen.“ —
sodaun den jungen Menschen, auf dessen Pünkt- So zeigen Sie es doch einmal“ sagte der Ge⸗
lichkeit er sich verlassen konnte. Als er sich allein chäftsführer und zögernd reichte der Lehrling,
sah, begab Herr Daniel sich in das dritte, kleinere velcher dem gefürchteten Vertreter des Hauses
Geiach, welches er für seine eigene Person licht zu widerstreben wagte, das Papier. Wiesthaler
reservirt hatte, schloß dort einen ziemlich ver- as Namen und Bestimmungsort und sodann:
borgenen Wandschrank auf und holte eine der Ist meinem Sohne etwas zugestoßen? Habe
darin befindlichen Flaschen heraus, mit deren eit vierzehn Tagen keine Nachricht erhalten.
Inhalt er sich eingehend zu beschäftigen begann. Imgehende Rückantwort. Schröder.“ Einen Augen⸗
Der VLehrling hatte fsich während dessen, da das ölick stutzte er, dann gab er das Telegramm zurück
Telegraphenamt erst Nachmittags wieder geöffnet und sagte gleichaültig: „Es ist gut. Sie können