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sein Leben gern eine kleine Trompete von Blech
gehabt, so ein wunderbares Instrument, das eine
Stimme hat, die man wecken kann, wenn man
Abends so ganz allein in der dunkeln Kammer
ist und vor Gespenstern und Ratten sich fürchtet;
mit dem man auch allen Jungen auf der Straße
vorangehen kann, wie ein riesiger Trompeter in
der Armee.
„Ach liebes, liebes Christkindchen! Nur eine
kleine, kleine Trompete — du hast doch den Frieder
nicht vergessen, liebes Christkind? Die Mutter
hat mir ja erzählt, daß du alle Kinder lieb hast,
die an dich glauben und zu dir beten."
So sprach der Frieder und preßte mit In
brunst die Finger in einander. Kein Auge
wandte er von den leuchtenden Fenstern im Nach
barhause und bekümmerte sich, warum das Christ
kind „die paar Schritte" zu ihm herüber nicht
mache, da es doch ein Mal auf dem Wege sei.
Wie er so recht eifrig gebetet hatte und kindische
Gelübde gethan, kam plötzlich eine Art zitternder,
freudiger Furcht über das einsame Kind. Mit
weit aufgesperrten Augen sah es nach der Thüre
hin; denn es dachte, die müsse jetzt aufspringen,
und dann käme das weiße, leuchtende Jesulein
herein mit einem Lichterbaum und einer Trompete.
Statt dessen aber keuchte und ächzte etwas
auf dem Gange; c'n Korb wurde stöhnend nieder
gesetzt, ein Zündholz strich gegen die Wand und
ein Kopf zeigte sich in der Thürspalte.
„Heda Frieder!" sagte die heisere Stimme der
Botenftau, die heimgekommen war, „hilf mir
'Mal die Kiepe von der Schulter lad>n! Eil'
dich, Bub!"
Der Frieder that's, und da stand sie im Lichte
der flimmerigen, blinden Stall-Laterne, die alte,
schrumpelige Botenfrau, welcher der Kopf vom
Tragen schwerer Kisten tief auf die Brüsk ge
wachsen war. Sie sah ihn mit ihren grauen,
blinzenden Augen an. „Was treibst du denn,
Friederle, allein in der kalten Stub'? Ist denn
der Vater noch nicht heimgekommen?"
„Ich hab' gebetet," sagte der Frieder, der nur
von einem Gedanken erfüllt war; „das Christkind
ist 'nübergeflogen zu den Bäckersleuten und
zum Schuster, hat auch Handschuhmachers Julchen
nit vergeflen. Keinen vergißt's — gelt Anne-
Marte? Ich muß schnell wieder in die Stube,
damit ich's nit verpaß', wenn's vielleicht an's
Fenster klopft."
„Da geh', du Hans Narr!" brummte die Boten
frau, belud sich mit ihrem Korbe und stolperte
die knarrende Hühnersteige empor, welche zu ihrem
Kämmerchen führte. Da droben war alles kalt,
unwirthlich, unfestlich und öde, wie es bei ein
samen Leuten aussieht, welche den ganzen Tag,
die ganze Woche kaum in ihre Behausung kommen, j
Aber sie war es ja nicht anders gewöhnt, die
alte Anna-Marte. Sie stellte die Laterne auf
den Tisch und stng an, all' die Packen und
Päckchen, welche sie von der Residenz für die
Kleinstädter mitgebracht hatte, ihrem Korbe zu
entnehmen. Dann machte sie sich auf den Weg,
jedes Einzelne zu seiner Bestimmung zu tragen.
Als sie am Fenster des Straßenkehrers vor
über kam, leuchtete, gegen die Scheiben gepreßt,
das blasse, sehnsüchtige Gesicht des Kindes, welches
auf das Christkind wartete.
„Armer Kerl!" dachte die alte Person; „kann
lange warten! Dem steckt Kein's ein Lichtlein
an! Ist jeder froh, wenn er vom Oel der Noth
ein Tröpflein abgespart hat für die eigenen
Kinder!" Da faßte ihr etwas an's Herz: „Hast
ja heut' ein gutes Verdienst gehabt, Anna-Marte.
Nun? . . . Könntest dem armen Schlucker schon
ein Mal eine Freud' machen! 's ist ja der Ge
burtstag des Heilands, der dich arme Seel' er
löst hat mit seinem Blut. Nur einmal im Jahre
ist's Christtag, Anna-Marte!" . . . „Hätt'gerad'
noch gefehlt!" knurrte sie, mit ihrem kurzen
Athem die Treppen hinansteigend, „mein sauer
Erworbenes an Firlefanzereien zu hängen! So
armen Creaturen ist's gut, wenn sie von Kindes
beinen an lernen, daß Einem das Leben kein
seidenes Kisschen in den Rücken steckt. Anna-
Marte, daß bu mir keine Capriolen machst!
Das wär' so recht wie du — mit den Händen
verthun, was du mit den Füßen erläufst."
Die Botin hing an ihrem Groschen, wie alle
Leute, die ihn Heller bei Heller verdient haben.
„Hast du noch nicht Zahlen genug in den
Schornstein geschrieben, alte Gans!" monologisirte
sie zum großen Ergötzen der Passanten weiter.
„Curirt dich eine Narrenklingel nicht, die dir
vor'm Kopf hängt und dir alle Tag' vor den
Ohren schellt? Hast ein Mal viel Geld an Je
manden gehangen; könntest wissen, was dabei
heraus kommt!"
Die Anna-Marte hatte eine Geschichte. Sie
war eine arme, alte Jungfer, die den Waisen
jungen einer Schwester groß gezogen. Sie hatte
das Kind geliebt wie ein leibliches, hatte alles
das für es gethan, was ihr möglich war; sich
den Bissen am Munde abgespart, um ihn dem
Jungen zuzustecken. Sie hatte sich abgerannt
und abgeplagt, daß er etwas Tüchtiges lernen könne,
und sich keine gute Stunde gegönnt. Ein ordent
licher Schreiner war er geworden, und zwar
Einer, der etwas von der Kunst des Handwerks
verstand. Ueber dem Bette der Anna-Marte
hing seine erste Zeichnung — ein großer, steifer
Schrank, ein Wunderding in ihren Augen. Als
der Junge flügge geworden und sein Glück in
dem gelobten Lande, das heißt in Amerika ver-