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Sonntag, den 1. Juli: Morgens 8 Uhr event,
später Empfang der Gäste am Bahnhof resp. an
den Thoren der Stadt. Um ^9 Uhr auf dem
Marktplatze: Choralmusik und gemeinschaftlicher
Gesang der Lieder: „Das ist der Tag des Herrn"
— „Die Himmel rühmen" — (letzteres mit Musik
begleitung der Artilleriekapelle aus Kassel); um
*/211 Uhr: Generalprobe für die Gesammtchöre in
der Sängerhalle auf dem Festplatze; hierauf
musikalischer Frühschoppen.
Von 2 Uhr ab: Aufstellung zum Festzuge auf
dem städtischen Turnplätze in der Hainstraße; 3 Uhr:
Festzug durch die Stadt nach dem Festplatze auf
dem Weerd unter Begleitung zweier Musikchöre.
Der Zug bewegt sich durch folgende Straßen:
Hainstraße, Breitenstraße, Weinstraße, Marktplatz,
Johannisstraße zum Weerd (Festplatz), daselbst
Begrüßungsgesang des Hersfelder Quartettvereins,
Ansprachen, Festrede; hierauf großes Vokal- und
Jnstrumentalkonzert in der Konzerthalle. Abends
Feuerwerk, turnerische Gruppenbilder, Tanz.
Montag, den 2. Juli, Morgens 6 Uhr: Weckruf
durch die Stadtkapelle. Um 8 Uhr: Besuch der
Stiftsruine, Hierselbst gemeinschaftlicher Chorgesang,
Spaziergang durch die städtischen Anlagen nach
den „Alpen" und Wolsf's Felsenkeller. Dortselbst
um 10 Uhr Delegierten-Versammlung. Restauration,
Konzert der Stadtkapelle und Gesangsvorträge.
Rückmarsch V» 1 Uhr Mittags. Nachmittags von
3 Uhr ab auf dem Festplatze: Konzert der Stadt
kapelle, Vortrag von Gesängen seitens der Einzel
vereine, Volksbelustigungen, Tanz.
So steht, wenn auch der Himmel eilt freund
liches Gesicht macht, reiche Festesfreude in Aussicht.
Auch das „Hessenland" nimmt an ihr Theil,
denn ihm liegt die Pflege des Sanges nicht wenig
am Herzen. Möge der hessische Sängerbund
blühen, wachsen und gedeihen bis zu fernen Ge
schlechtern , möge er sich zugleich voll bewußt
werden, daß ihm durch die Pflege des Gesanges
und insbesondere des wahren Volksliedes
eine hohe Aufgabe zugewiesen ist. Wir schätzen
unb ehren die kunstmäßige Musik, aber das Herz
des Volkes offenbart sich in seinem eigenen Liede,
in schlichten Worten und einfachen Tönen. Und
so haben hessische Sänger vor Allem die Pflicht,
das dem heimathlichen Boden entsprossene Lied zu
hegen und zu warten als theures Gut. Die Zeit,
in der überkluge Schulweisheit hochmüthig auf
das wilde, barfüßige Dorskind herabschaute, die
Zeit, da das aus dem Herzen quellende natur
wüchsige Lied als „unfein" und „bizarr" galt, ist
Gott sei Dank vorüber, seitdem ein Herder, ein
Goethe und viele andere edle Geister unserer
Nation sich seiner angenommen haben. Mit Recht
schreibt der Volksliedersammler Georg Scherer
vom deutschell Volkslied: „Diese Lieder gehören
zu den holdseligstell Blüthen des deutschen Geistes;
in ihnen fühlt man den vollen Herzschlag unseres
Volkes und lernt dasselbe von der liebenswürdigsten
Seite kennen. Hier offenbart sich seine ganze
Gemüthstiefe, rührende Güte, unendliche Liebe und
aufopfernde Treue, seine schlichte Rechtschaffenheit,
treuherzige Ehrlichkeit und hoher sittlicher Ernst;
heitere Lebenslust und derber Muthwille bis zur
Ausgelassenheit; aber auch trotzige Kraft, flam
mender Zorn, glühender Haß und dreinschlagende
Tapferkeit. Wahrlich, ein Volk, das solche Lieder
auszuweisen hat, darf sich zeigen unter den Völkern
der Erde."
Aber das Volkslied will gesungen sein, nicht aus
Büchern erlesen oder deklnmirt, und der hessische
Literarhistoriker Vilmar trifft das Richtige,
wenn er sagt: „Und doch wird ein Gedicht nur
durch den Gesang unser ganzes volles Eigenthum,
so daß wir dasselbe gewissermaßen mit dem Dichter-
theilen ; nur dllrch den Gesang genießen wir das
selbe ganz, mit Leib, Seele und Geist, nur durch
den Gesang haben wir volle, unvergängliche
Freude daran, und nur durch den Gesang endlich
wird die Dauer des Liedes, ja gewissermaßen seine
Unsterblichkeit gesichert. Gesungen muß ein Lied
worden sein, von Vielen gesungen und lange
gesungen, wenn wir es für ein echtes Volkslied
halten sollen."
Und Friedrich Frevert schildert in einem
schönen, unserem durch seine verdienstvollen Ar
beiten aus diesem Gebiete bekannten hessischen
Landsmann Jo halln Le Walter gewidmeten
Gedichte den Ursprung des Volksliedes in an
ziehender Weise:
Das Volkslied.
Eiu altes Lied, ein altes Lied klopft an Dein Herz mit
leisem Klang,
Die Worte rauh und doch so traut und voller Tiefe und
. Gesang.
Das alte Lied, es rührt Dein Herz und füllt Dein Aug'
mit Thränen an,
Es lindert sanft der Seele Schmerz, mehr als Dein Mund
es sagen kann.
Sein Klang stammt von dem Vogel her, der Abends singt
tut Lindenbaum,
Hub von der Brandung, wenn das Meer den Fels bespritzt
mit weißem Schaum,
Vom Winde, der in dunkler Nacht um stille Gräber seufzt
und klagt,
Vom Bienchen, das mit Sumlnen fliegt um Blumenglocken,
wenn es tagt.
Gesungen ward's im braunen Moor und auf der lichten
Haide Grün,
Und int Gebirg, wo Farr'n und Moos des Bergquells
felsig Bett umzieh'n,
In schattiger Waldeinsamkeit, wo gelbe Schlüsselblumen
blüh'n.
Im stillen Thäte, wenn der Mond die alten Buchen hell
beschien.