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Diese wehmüthige Klage schien aber wenig
Eindruck auf Nona gemacht zu haben —, sie
schritt so kühn dahin und lächelte unternehmend,
als wüsste sie nichts von deut „Ritter mit dein
gebrochenen Herzen".
Heute führte Rona's Weg zu einer alten
Kräuterfrau, welche aus dem Safte von allerlei
Pflanzen die Zukunft deuten konnte. Sauna war
auch, wie immer, schon sehr frühe auf den Füßen;
sie saß, von zwei blendend weißen Katzen und
mehreren gefüllten Kräuterkörben umgeben, auf
einem niederen Schemel vor ihrer dürftigen Hütte.
Als sie das Burgfräulein erbickte, winkte sie ihm
vertraulich mit der braunen Hand.
Rona war hier keine Fremde; sie ließ sich oft
von der alten Sauna wahrsagen, denn alles
Außergewöhnliche, Räthselhafte, Unerklärliche zog
sie mächtig an. — Heute hatte sie aber einen
besonderen Grund, die „kluge Frau" aufzusuchen.
„Sauna, Ihr müßt mir helfen!" rief sie der
Alten schon von Weitem entgegen, und, näher
kommend, setzte sie leiser hinzu: „Ich habe
mein Herz verloren!"
Die alte Kräuterfrau riß ihre schwarzen Augen
weit auf; „Herz—verloren?" wiederholte sie lang
sam, als hättesienicht recht gehört, „Herz—verloren ?"
„Hört mich an!" befahl Rona in ungeduldigem
Tone, „und laßt Euer blödes Staunen! Warum
sollte ich mein Herz nicht auch einmal verlieren?"
„Weil Ihr keins habt!" fuhr es der Alten,
wider Willen, über die Lippen.
Heftig stampfte das Fräulein mit dem Fuße,
ihr weißes Gesicht färbte sich roth. „Noch ein
solches Wort," rief sie in hellem Zorne, „und Ihr
sollt tut dunkelsten Gewölbe der Ronneburg Eure
Frechheit büßen! Oder", und sic lachte, daß ihre
schneeigen Zähne blitzten, „ich sperre Euch in die
Brunnenkamtner, da könnt Ihr sehen, ob Ihr
das große Rad*) in Schwung bringt, wenn der
Durst Euch plagt!"
Schott lag das Kräuterweib vor Rona im
Sande und küßte unaufhörlich den Saum ihres
blauen Gewandes. „Verzeiht, verzeiht!" winselte
sie, „Ihr habt das beste Herz, Ihr seid eine
Taube, eine Lilie —, ich wußt' nicht, was ich
rede, ich wußt' es nicht!"
Verächtlich lachend, riß Rona ihr Kleid aus
den Händen der Alten und befahl ihr, aufzustehen.—
Sauna gehorchte.
„Zur Sache!" ries das Burgsräuleiu, „setzt
Euch wieder auf Euren alten Wackelschemel und
hört mich endlich an!"
*) Aus dem Brunnen der Ronneburg wurde das
Wasser mittels eines mächtigen Rades aus unendlicher Tiefe
heraufgezogen.
Keuchend ließ sich Sauna auf ihren Lieblings
sitz nieder, kreuzte die Arme und sah mit dem
scheinheiligsten Blicke ihrer falschen Augen zu
Rona auf. — Diese hob vom nebenstehenden
Stuhle einen Korb mit Kräutern herunter und
nahm auch Platz. „Gestern", begann sie flüsternd,
„machte ich mit meinem Vater einen großen,
großen Ritt von vielen Stunden —, wir kamen
an einem schönen Herrenhose vorüber, den ich
noch nie zuvor gesehen hatte —, nur mein Vater
war, bei Gelegenheit einer Hirschjagd, schon dort
zu Gaste gewesen; der Edelhof liegt dicht vor
einem tiefen Walde. — Gerade, als wir vorüber
ritten, trat aus dem Hofthore ein wunderschöner
Mann im Jagdgewande; von seinem Hute wehten
lange, weiße Federn, seine Gestalt war hoch und
gebietend, sein Haar war schwarz, und seine Augen
hatten einen königlichen Blick. Ihm folgte eine
Schaar fröhlich bellender Hunde. — Es war der
tnir noch unbekannte Ritter von Edelheim. —
Mein Vater hielt an, begrüßte ihn, nannte unsere
Namen und fragte den Ritter nach dem besten
Wege, denn in dieser Gegend wußten wir beide
nur wenig Bescheid. Höflich bat der Besitzer des
Herrenhofes um unseren Eintritt in sein Hans. —
Da der Tag sehr heiß und wir sehr durstig
waren, ließen wir uns bereden. Der Ritter rief
Knappen herbei, welche unsere Pferde und seine
Meute in Empfang nahmen, und führte uns
in sein Haus.
Etwa eine Stunde nur weilten wir unter
seinem Dache, aber diese eine Stunde genügte,
mein Herz ztt entflammen." — Rona seufzte tief.
„Dann wird es bald Hochzeit geben", grinste
die alte Sauna.
Wieder seufzte das Burgfräulein. „Er ist der
Erste, den ich liebe, und der Erste, dein ich nicht
gefalle. Gegen meinen Vater war er voll Ehr
erbietung, gegen mich kalt wie Eis."
„Ach, wer wird die weiße Lilie nicht lieben!?"
schmeichelte das Kräuterweib, „ist denn Euer
Ritter von Stein?"
Rona sprang von ihrem Sitze empor, stellte
sich dicht vor die Zauberin und rief befehlend:
„Ihr müßt mir helfen! Sagt mir, was ich thun
soll, um ihm zu gefallen! Mit Gold und Silber
will ich Euch lohnen, wenn Ihr mir sagt, wie
ich ihn erringen kann!"
Rona hatte so heftig gesprochen und war der
Alten so nahe gekommen, daß die beiden weißen
Katzen, welche friedlich zu Füßen ihrer Herrin
geschnurrt hatten, verstummten und mit drohenden
Blicken das Burgfräulein musterten. Sauna
beugte sich nieder und strich beruhigend über das
weiche Fell ihrer Lieblinge. Vielleicht that sie