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gefesselter Gefangener, angeklagt, am letzten Abend
den Markus erstochen und in den Mühlgraben
geschleudert zu haben.
„Es ist gar kein Zweifel, daß er's gewesen
ist," sagte der Mauerhofer, als es Tag wurde,
zu seinem Nachbar, der dabei gewesen war, als
sie die Leiche fast an derselben Stelle gefunden
hatten, an der man wenige Wochen vorher
Julians Nater hervorgezogen hatte, „es ist
gar kein Zweifel, und ich bin nur froh,
daß Engelburg nichts mehr davon erfährt, sie
wäre sonst im Stande und nähme den ver
wünschten Kerl in Schutz." Und wie der Mauer
hofer sprach, so hieß es im ganzen Dorf, in der
ganzen Umgegend, als der Vorfall bekannt wurde.
Julian hatte seinem Haß gegen den Markus ja
allzu oft, allzu leidenschaftlich Ausdruck gegeben.
Und es fehlte wenig, so hielt sich Julian selbst
für den Mörder seines habgierigen Gläubigers.
Es verbanden sich ja auch alle Umstände, die
ihm das Verbrechen zur Last legten, miteinander
wie die Glieder einer wohlgefügten Kette. Am
Nachmittag war Markus bei ihm und ein ge
rade Mehl abholender Bauer Zeuge gewesen, daß
Julian die heftigsten Drohungen gegen ihn aus
gestoßen hatte. „Ich sag' Dir, Du mußt die
gefälschten Schuldscheine zerreißen, mit denen Du
uüch aus der Mühle treiben willst!" hatte er
ihm zugeschrieen, und als Markus darauf mit
höhnischem Grinsen zur Thür geschritten war,
hatte er ihiu die geballten Fäuste vorgehalten:
„Zum letztenmal rath' ich Dir: besinn Dich und
nimm, was ich Dir geben will, noch weißt Du
nicht, was für eine Kraft und was für ein
scharfes Messer ich habe." Dann hatten ihn
mehrere Leute dem Walde oberhalb der Mühle
zueilen sehen, unordentlich angezogen, mit ver
störtem Gesicht, zwei Stunden später war Mar
kus denselben Weg gewandert, einem schrecklichen
Ende entgegen, denn wiedermu zwei Stunden später
war er mit dem Mühlbach zum Dorf zurückgekehrt,
ein langes scharfes Taschenmesser in der Brust,
seiner Brieftasche beraubt, und der Kreisarzt, der
mit den Herren vom Gericht zusammen eintraf,
hatte konstatirt, daß der Tod nicht in Folge des
Stiches, sondern durch Ertrinken, und ungefähr eine
Stunde vor Auffindung der Leiche eingetreten sei.
Aber wenn der Todte auch kein Wort mehr sagen
konnte, „der Herrenmüller hat's gethan!" stand
doch für fast sämmtliche Umstehende auf seinen
starren Lippen geschrieben. Und was sie lasen,
das sagten sie den Gerichtsbeamten, und auch
diese zweifelten kaum daran, als sie die Mühle
leer fanden, und als endlich Nachts zwischen zwei und
drei Uhr Julian anlangte, blaß, krankhaft erregt,
mit frischen Blutspuren an Rock und Weste. Er
erklärte diese im ersten Verhör damit, daß er
im Wald mit dem Kopf auf einen Stein ge
fallen sei und davon Nasenbluten gehabt habe.
Das glaubte aber der Amtsrichter nicht, und
noch weniger glaubte er, daß ihm bei derselben
Gelegenheit sein Taschenmesser abhanden gekommen
sei, welches er vorweisen sollte und nicht konnte.
Doch wenn auch vieles gegen den jungen Müller
zeugte, am verdächtigsten machte ihn doch eins:
Wie heftig er betheuerte, den Markus seit der Unter
redung vom Nachmittag nicht gesehen zu haben,
er gestand nicht ein, was er von jener Zeit bis
zu seiner Rückkehr in die Mühle gethan habe.
„Es war nichts Schlechtes," antwortete er auf
alle diesbezüglichen Fragen mit niedergeschlagenen
Augen, „aber ich kann es nicht sagen, und ich
will cs nicht sagen." —
Und wie genau er wußte, daß diese Antwort
verhängnißvoll für ihn war, er wiederholte sie
dennoch mit stets gleicher Energie an jedem der
acht Tage, die er nun schon in der engen ver
gitterten Zelle des Untersuchungsgefängnisses saß.
Wiederholte sie leise und laut, war doch der
einzige Lichtstrahl für sein verdüstertes und ver
bittertes Gemüth der Gedanke: Engelburg fährt
jetzt auf dem weiten Meer, und sie weiß nichts
von dem, was die Menschen über mich reden.
Daran, daß sie doch über kurz oder lang erfahren
werde, was ihm begegnet sei, dachte er nicht und
auch nicht daran, daß es ihr ein ewiger Vorwurf
sein werde, wenn sie erfahre, daß er sich um
ihretwillen nicht besser vertheidigt habe. Es kam
ihm auch nicht in den Sinn, daß ja Engelburgs
alte Base ebenso gut wie diese selbst für feine
Unschuld eintreten könne. Hätte nicht das Eine
seine lebensmüde zerquältc Seele noch aufrecht
gehalten: sie, die mich lieb hat, soll nicht noch
einmal durch mich in Leid und Noth gerathen, er
hätte überhaupt nicht gewußt, wozu er noch auf
der Welt sei, warum er nicht seinem armen
Vater nach und in das dunkle Jenseits hinüber
gehe, in dem es doch kaum schlimmer für ihn
werden konnte, als es in den letzten Wochen ge
wesen war, und nun immer weiter sein mußte. —
Wo aber war die, um derenwillen er sich für
einen Mörder halten ließ? Schwamm sie wirklich
schon auf dem öden Weltmeer? Engelburgs Reise
plan hatte in Bremen eine unvorhergesehene
Aenderung erfahren. Die Gespielin aus ihrem
Dorfe, welche dort an einen Hausbursch ver
heiratet war, und bei der sie einen Tag hatte
bleiben wollen, ließ sie nicht fort. „Wenn Du
erst drüben bist, sehe ich Dich sobald nicht wieder,
das weiß ich schon," hatte sie gleich bei Engel-